Sicarius

Nichts für kleine Kinder

Cover von Hotline: MiamiHotline: Miami also. Die erste Erkenntnis, die ich nach dem Start des Top-Down-Actiontitels hatte: Meine Augen tun weh. Und das meine ich nicht sinnbildlich weil die Grafik so schlecht wäre oder so was. Es ist der ganz normale 8-Bit-Stil wie er auch in 20 Millionen anderen Indie-Titeln verwendet wird. Nein, mir taten sie tatsächlich weh! Der Hintergrund ist nämlich ständig in Bewegung. Eine Art flackern oder flimmern oder was auch immer das sein soll. Sinn und Zweck ist wohl eine Art (Drogen-)Trip oder zumindest einen Nervenzusammenbruch zu simulieren. Auf jeden Fall konnte ich dadurch nicht länger als 5 Minuten am Stück spielen. DAS hat bislang definitiv noch kein Spiel geschafft. Interessanter- beziehungsweise glücklicherweise hat es geholfen die Computerbrille aufzusetzen, um das Problem stark abzuschwächen.

Endlich konnte ich mich also nach Miami aufmachen, genauer gesagt dem Miami der 80iger Jahre. In meinem versifften Apartment erwartete mich ein Anrufbeantworter. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht mehr, wem ich eigentlich meine Nummer gegeben hatte. Dafür musste ich erst das geheime Ende freischalten, um wieder den Gesamtüberblick zu erhalten. Auf jeden Fall bekam ich von diesem Anrufer im Laufe des Spiels immer wieder einen Auftrag: Kekse abliefern, mir es in einem Club gutgehen lassen oder irgendwo Alleinunterhalter spielen — zumindest wurde mir es so am Telefon gesagt. Doch hinter den Nachrichten versteckte sich eine andere Wahrheit: Töte alles und jeden, egal ob Mensch oder Tier, der dir dort vor Ort über den Weg läuft oder werde selbst getötet. Wie gesagt, wusste ich nicht mehr wie ich dazu gekommen bin. Aber es war mein Job. Also habe ich nicht lange überlegt und bin mit meinem DeLorean-Verschnitt zur genannten Adresse gedüst.

Morden um des Mordens Willen

Vor Ort angekommen, setzte ich eine meiner Masken zur Tarnung auf. Es sollte mich ja auf meiner Mördertour niemand Erkennen. Die Masken habe ich im Laufe des Spiels freigeschaltet (im Level gefunden oder einfach nur für das Knacken der Highscore in den Missionen) und jede davon gibt mir einen anderen Boni. Mit der Pferdemaske werden beispielsweise Türen zu tödlichen Waffen (normalerweise schleudern sie dahinter befindliche Gegner nur auf den Boden) und dank der Walross-Maske überlebe ich zwei Treffer. Ansonsten bin ich nämlich ziemlich schwächlich. Ein Treffer egal ob ein Schuss aus einer Waffe, ein Hundebiss oder ein Schlag mit den zahlreichen Nahkampfwaffen und ich bin tot. Das gilt allerdings auch für die Gegner. Wer hat das Überraschungsmoment und wer die schnellste Reaktion ist hier die Frage und nicht, wer im Rhetorikkurs am besten abgeschnitten hat.

Es hat etwas von Hitman, Splinter Cell oder Dishonored. Das Prüfen der Lage, das Warten auf den richtigen Moment, der Einsatz der herumliegenden Waffen — und im Anschluss das gnadenlos brutale Abschlachten aller Anwesenden in wenigen Sekunden ohne Rücksicht auf Verluste und schon gar nicht das eigene Leben. Eine Salve aus dem Maschinengewehr und der Fußboden vor mir ist blutgetränkt. Das einzige was sich noch bewegt ist ein glatzköpfiger und schwer verwundeter Mann, der hilflos über den Boden kriecht. Auf ihn setze ich mich drauf und reiße ihm die Ohren ab. Blut spritzt in alle Ecken, aber ich habe gar keine Zeit mir lange darüber Gedanken zu machen. Stattdessen greife ich mir wieder die nächstbeste Waffe — egal ob Baseballschläger, Rohr oder Glasflasche — und mache mich auf die Suche nach meinem nächsten Opfer, dem ich mit dem Vorschlaghammer das Gesicht einschlagen kann. Gibt schließlich mehr Punkte als ihn einfach nur abzuschießen.

Hartes Pflaster

Herstellerbild zu Hotline: MiamiJa, der Untergrund von Miami ist nicht nur kein schöner Ort zum Leben, Kindern ist der Zutritt trotz der 8-Bit-Grafik auch definitiv verboten. Und wer ein Spec Ops: The Line erwartet, also ein Spiel, das sich kritisch mit der dargestellten Brutalität auseinandersetzt, der hat die völlig falschen Erwartungen. Echte Moral gibt es vielleicht in anderen Spielen, nicht aber in Hotline: Miami. Hier erwartet euch ein blutiger Rachefeldzug, der nicht umsonst Nicolas Winding Refns Film Drive (2011) als Inspirationsquelle angibt. Es geht nur darum möglichst schnell und auf kreativste Art und Weise den Auftrag zu erfüllen, die Highscore zu knacken und so neue Waffen freizuschalten mit denen ich noch mehr Unheil anrichten kann. Selbst die Hintergrundgeschichte denkt nicht sehr viel weiter, auch wenn es hier und da erkennbare Ansätze gibt.

Stattdessen gilt der Grundsatz: Über meine Taten nachdenken oder gar für sie büßen? Pustekuchen! Ich sterbe zwar oft und sehr kurz hintereinander (ca. 850mal in 5 Stunden Spielzeit um genau zu sein), aber das ist nur ein Kieselstein auf meinem, mit Leichen gepflasterten Weg zum finalen Bossgegner. Ich habe mal wieder übersehen, dass das da vorne keine Wand sondern eine Fensterreihe ist und wurde unverzüglich erschossen? Kein Problem! Ein Tastendruck und sofort stehe ich wieder am Checkpoint und versuche es dieses Mal bei gleichem oder gar noch höherem Tempo besser zu machen, angetrieben vom wummernden Soundtrack. Da können sich die Positionen der Gegner und deren Bewaffnung noch so minimal durch den Reset ändern: Keine 15 Minuten später liegen überall zerteilte Körper, zerplatzte Köpfe und tote Hunde herum und ich mache mich auf das nächste Stockwerk jedwedem Lebens zu berauben.

Fazit
Es war eine (viel zu) kurze, aber dennoch äußerst intensive Erfahrung, mein Ausflug nach Miami. Genauer gesagt war es ein 5 von 5 Sics-Erlebnis. Wie so oft in meinem Spielerleben lassen sich meine Taten zwar nicht rechtfertigen und eigentlich müsste ich trotz der Cartoon-haften 8-Bit-Darstellung abgestoßen sein. Doch wenn ich dem NPC mit der Brechstange den Schädel zertrümmere, sehe ich ausschließlich die Punkte, die ich dafür bekomme. Ich sehe, dass meine mehr oder weniger improvisierte Strategie endlich aufgegangen ist und habe gleichzeitig bereits mein nächstes Opfer vor Augen. Ich habe schlicht und ergreifend Spaß an der spielerischen Herausforderung. Die Gewaltdarstellung ist da nicht mehr als ein Nebengeräusch und erzählerisches Stilmittel. Etwas, das alle Kritiker dieser Welt niemals verstehen werden. Schon gar nicht, wenn sie allerhöchstens mal jemandem beim Spielen zugeschaut haben. Und auch ein Spec Ops: The Line kann mir da noch so sehr den Spiegel vorhalten. Am Ende des Tages ändert das nichts an den Fakten.

Ich kann mich somit nur jesters.ice und Rondrer anschließen und euch an dieser Stelle eine klare Kaufempfehlung aussprechen — zumindest wenn euch Grafik sowie Inhalt nicht abstoßen und ihr generell etwas mit solchen arcadigen Action-Titeln etwas anfangen könnt. Ach und Epileptiker müssen zwingend einen großen Bogen um das Spiel machen. Ernsthaft. Wenn mir schon die Augen weh tun, will ich gar nicht wissen was das mit euch alles anstellen würde!

2 Kommentare

Hmm, du jetzt also auch noch… alle Welt empfiehlt dieses Spiel. Warum gibts davon keine Demo…

Aber ich schätze, ich bin die nächste Wochen eh mit FTL beschäftigt…diese verdammte, dritte und finale Kampfrunde gegen den Endboss treibt mich noch in den Wahsinn (und sport mich an…)

Also ich hatte mit dem Flackern überhaupt keine Probleme. Es fällt zwar am Anfang stark auf, aber gemacht hat mir das nichts. Da muss man wohl individuell sehen ob das passt oder nicht.

"Und wer ein Spec Ops: The Line erwartet, also ein Spiel, das sich kritisch mit der dargestellten Brutalität auseinandersetzt, der hat die völlig falschen Erwartungen."
Find ich persönlich irgendwie nicht. Die ganze Stimmung, die nebulöse Story und die völlig übertriebene Gewalt haben mich wesentlich mehr zum reflektieren gebracht als jeder 0815-Shooter. Wenn nach ner bestandenen Mission plötzlich die antreibende Musikuntermalung wegfällt und man nochmal durch das Gebäude streift, alles voller Leichen (teile) und Blut, dann denkt man schon mal: "WTF?".

Zusätzlich finde ich, dass die Gewaltdarstellung, obwohl sie expliziter kaum sein könnte, durch die perspektive doch irgendwie abstrakt rüberkommt.

Nach FTL und Minecraft mit Sicherheit die 3. riesige Indie-Überraschung für mich in den letzten Jahren. So kanns gerne weitergehen ;)

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