Sicarius

Mass Emotion

Gut fünfzehn Stunden habe ich mittlerweile mit Mass Effect hinter mir und die “skandalöse” Sexszene rückt in greifbare Nähe. Natürlich versuche ich mit der Asari Liara T’Soni ins Bett zu steigen, schließlich ist es ja langweilig mit dem klischeeüberladenen, menschlichen Soldaten Kaiden Alenko herumzumachen. Den Typ nehme ich sowieso schon lange nicht mehr auf Missionen mit weil er mir so richtig auf den Keks geht und wenn die Zeit kommt werde ich ihn – nein, ich verrate nichts von der Geschichte.

Schließlich ist das Spiel immer noch eine ganz klare Empfehlung. Es hat natürlich seine spielerischen Schwächen, besonders das stupide Herumfahren auf den quasi 90% leeren Planeten nervt, aber die Charaktere, die Dialoge und das gesamte Universum haben mich absolut in den Bann gezogen. Da laufe ich gerne in der zwanzigsten Nebenmission zum fünfzigsten Mal durch eine absolut identische Basis und lasse die, taktisch meist höchst anspruchslosen, Kämpfe über mich ergehen. Ich weiß eben, dass mich am Ende wieder ein Dialog erwartet, in dem eigentlich ich so gut wie immer eine Entscheidung treffen muss,

Natürlich lässt sich auch hier wieder argumentieren, dass es, in Bezug auf die Nebenmissionen, meist nur eine Auswirkungen auf die “Gut/Böse”-Anzeige hat und sonst nichts geschieht, aber dennoch sind auch diese kleinen, in sich geschlossenen Geschichten und die darin enthaltenen Charaktere gut ausgearbeitet – abgesehen vom generischen Kanonenfutter dazwischen selbstverständlich. Und an der Inszenierung der Dialoge werde ich mich wohl nie satt sehen.

Zwar ist die Grafik, auf Basis der Unreal Engine 3, auch sonst mehr als nur ordentlich – wenn man nicht gerade über einen, von einem Algorithmus generierten, menschenleeren Planeten fährt -, aber der Detailgrad der Charaktere und die Animationen habe ich bis heute einfach noch in keinem anderen Spiel so gesehen. Obwohl die Bandbreite an Emotionen, die dargestellt werden, immer noch sehr limitiert ist in Bezug auf das, was in einem realen Gespräch alles im Gesicht des Gegenübers abläuft, tut sich hier einfach etwas. Es fühlt sich eben nicht nach nur zwei redenden Köpfen an, die so tun als würden sie das sagen, was eine Audiodatei im Hintergrund abspielt. Zusammen mit der herausragenden Synchronisation (bezogen auf die englische Originalversion) steckt man als Spieler richtig mittendrin. Man hat ein tatsächliches Interesse daran nicht die Worte zu wählen, die das vornehmlich beste Ergebnis bringen, sondern tatsächlich diejenigen, die zum eigenen Charakter und der aktuellen Situation einfach passen. Da pfeift Sicarius Sheperd eben auch mal darauf, dass sie für eine bestimmte Gesprächsoption Renegade-Punkte (Böse) erhält. Wenn der Organhändler (Nebenmission von Garrus) den Tod verdient hat, dann hat er ihn einfach ohne wenn und aber verdient.

Ich spiele Sicarius Sheperd normalerweise sehr positiv und hilfreich eingestellt. Sie ist mehr der Diplomat, der erst im absoluten Notfall zum Gewehr greift – auch deshalb, weil sie eine verkappte Scharfschützin ist und Nahkämpfe deshalb meidet. Sie ist sich ihrer Rolle als Repräsentantin der Menschheit bewusst und befolgt dementsprechend auch die Anweisungen, die ihre Vorgesetzten ihr geben. Also eine absolut langweilige Tratschtante, die es bestimmt nie zu etwas bringen wird. Aber in dem Moment, nachdem sie sich durch ein gutes Dutzend von halbtoten Menschen, in denen neue Organe angezüchtet werden, gekämpft hat, hat sie sich einfach umgedreht und Garrus den Abzug durchdrücken lassen obwohl es nicht der “gute” Weg war.

Das Spiel hat mich also so stark in die Welt hineingezogen, dass es mir buchstäblich scheiß egal war welche spielerischen Auswirkungen mein Handeln in dem Moment hatte. Und ich glaube ganz stark, dass dieses Gefühl einer der Aspekte ist, den ich in einem Videospiel (bestimmter Genre) suche. Dass dies einer der wichtigsten Gründe ist, warum mir Geschichten und Charaktere größtenteils über Spielmechanik gehen. Dieses vollkommene und kompromisslose Verschwinden in einem anderen Universum. Das echte Interesse daran zu erfahren wie es weitergeht, absolut losgelöst von der Spielmechanik und den Problemen des Spiels und unabhängig davon wie flach auch alles sein mag.

Ganz einfach der wichtigste Grund, warum ich am Ende der letzten Podcastfolge Azzkickrs Frage mit “Ja” beantwortet habe – nein – beantworten musste!

3 Kommentare

hm, hört sich schon sehr nett an (und sieht auch sehr nett aus)
aber für ein 3-fach-einweg-Spiel geb ich sicher keinen Vollpreis aus.

Und ich seh ein so herausragendes Spiel (wie du es beschreibst) jetzt nicht als Argument für die Story+Charakter vs. Spielmechanik, denn Mass Effect ist ja mit der Atmosphäre wohl die Nadel im Heuhaufen unter allen aktuellen Spielen (und auch nichtmehr ganz so aktuellen). Dass man bei so einem Spiel andere Prioritäten setzt als "normalerweise" halte ich für mehr als nachvollziehbar.

Mich wundert es eh, dass das Spiel gut ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung immer noch nicht im Preis gesunken ist. Wenn es nicht einmal Amazon runtersetzt ist das schon sehr komisch.

Und zum zweiten Punkt: Ja, Mass Effect ist tatsächlich schon ein kleiner Meilenstein, aber für ich denke dennoch, dass die Argumentation bezogen auf mich – ganz wichtiger Punkt – korrekt ist. Ganz einfach auch weil ich meiner Meinung nach generell einfach empfänglicher für das "Abtauchen" bin (Tagträumer halt). Natürlich nur solange bis die Stimmung umschlägt in "Jetzt erst recht!". Aber nehmen wir das Beispiel "Kane & Lynch: Dead Men". Die Abstürze haben mich echt genervt wie Sau, die Spielmechanik kann man gelinde gesagt in die Tonne kippen und ich hab auch darüber gejammert ohne Ende, aber anders als bei "SWAT4" habe ich mich da wirklich nicht durchgequält nur um es endlich abhaken zu können (und die Achievements zu kassieren – ein durchaus motivierender Punkt muss ich ganz klar zugeben). Ich hatte stattdessen absolutes Interesse an den Charakteren und daran zu erfahren wie es ausgeht.

Das Hauptproblem liegt dabei eh mehr auf dem DRM als auf dem Preis… Ich hab allein 2 Rechner, auf denen ich es spielen würde. Da bleibt mir nur noch Raum für eine einzige Neuinstallation. Und das is mir dann doch zu doof.

ja, das is mir seit Samstag schon klar ;) Aber damit ist K&L imho ein viel besseres Beispiel für die Argumentation, als es Mass Effect je sein kann, da bei dem eh (fast?) alles stimmt.

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