Rück- und Vorderseite meines kleinen Büchleins

Wer es noch nicht gemerkt hat: Die letzten Tage (und noch bis kommenden Donnerstag) sind etwas ungewöhnliche Einträge auf Beim Christoph erschienen. Das “Warum” steht jeweils direkt darunter: Ich war vergangene Woche auf meinem 2. Bildungsurlaub in diesem Jahr. Damit habe ich auch endlich meine Lücke von 2021 geschlossen :smile: . Zur Erinnerung: Ihr könnt euren Anspruch auf Bildungsurlaub ins nächste Jahr übertragen, wenn ihr es nicht schafft ihn zu nehmen. Müsst das nur immer gegenüber eurer Führungskraft klar kommunizieren. Und nein, ihr könnt nicht beliebig viele Wochen verschieben und ansammeln. Es geht immer nur der vom Vorjahr. Nehmt ihr ihn dann immer noch nicht, verfällt der Anspruch gänzlich.

Doch zurück zu letzter Woche: Ich war auf dem Bildungsurlaub namens “Autobiografisches Gestalten und Schreiben” von Susanna Willms. Es war das erste Mal, dass sie diesen Kurs angeboten hat. Mit dabei waren noch sieben andere Interessierte. Und ja, die meisten davon Frauen 40+. Aber ich gehöre ja mittlerweile ebenfalls zu dieser Altersgruppe – insofern passt das schon :wink: . Ich schrieb Lysanda sogar grad eine SMS von wegen “bin wohl mal wieder der Hahn im Korb”, als dann doch noch ein weiterer junger Herr auftauchte (ja, ich war mal nicht der Jüngste!) und die Männerquote verdoppelte. Warum nutzen die so wenig die Gelegenheit einen Bildungsurlaub zu machen?! Oder suche ich mir immer die nicht so “männlichen” Angebote raus? Egal. Interessant klang der Kurs für mich vor allem wegen dem Fokus auf das “Schreiben”. Das tue ich ja bekanntlich viel und auch durchaus gerne über mein Leben. Insofern habe ich gar nicht lange überlegt und mich angemeldet.

Der Inhalt

Wie der Name schon andeutet, geht es darum die eigene Lebensgeschichte zu verarbeiten. Die Idee der Dozentin war uns jeden Tag ein Thema zu geben und dies dann sowohl schriftlich als auch gestalterisch festzuhalten. Das klappte am Ende nicht ganz, weil wir an einem Tag ein wenig den Rahmen sprengten. Aber dazu gleich mehr. Den Anfang jeden Tages bildete nämlich erst einmal der Tages-Impuls. Das waren 10 Minuten freies Schreiben. Was die anderen dabei so verfasst haben, weiß ich nicht. Es wurde nämlich im Gegensatz zu den anderen Texten nicht vorgelesen. Entsprechend kann ich nicht sagen, ob ich die Aufgabe technisch gesehen falsch verstanden hatte und man eigentlich eher sowas wie einen Tagebucheintrag texten sollte. Korrigiert hat mich aber auch keiner, da ich zumindest drei meiner Impulse dann doch vortrug.

Den von Tag 2, weil ich (selbstverständlich) meine Webseite erwähnte und dieser Text dann am nächsten Morgen kurz zum Thema wurde. Außerdem noch die Impulse von Tag 4 und Tag 5, da ich diese mit dem Tagesthema im Hinterkopf verfasst hatte. Entsprechend las ich sie vor meinem eigentlichen Text – quasi wie eine Ouvertüre zur Einstimmung. Und ja, die Jungspunde unter euch wissen vermutlich gar nicht mehr was eine Ouvertüre ist. Wenn in einem Film nicht innerhalb der ersten 60 Sekunden einer erschossen wird, dann verlässt man schließlich heutzutage direkt das Kino.

Doch ich schweife ab: Nach dem Impuls ging es relativ zügig zum Tagesthema übrig. Tatsächlich bestand der Bildungsurlaub aus extrem wenig Theorie. Das fand ich allerdings nicht weiter schlimm. Gab‘ in dem Sinne ja auch nicht viel zu sagen abseits von “Schreib über dich!”. Stattdessen lebte er zum einen vom eigenen Tun und zum anderen vom gemeinsamen Erlebnis sowie ein bisschen Feedback. Schließlich hat jeder eine andere Geschichte zu erzählen. Entsprechend war es ein Privileg sie zu hören und darüber sprechen zu können.

Tag 1

Portrait meiner Eltern

Es fing am ersten Tag relativ leicht an. Zuerst sollten wir unsere Eltern malen. Als Inspiration gab uns die Dozentin irgendein Gemälde eines bekannten Künstlers. Entschuldigt, wenn ich mir das nicht gemerkt habe. Es sah für mich ziemlich doof aus. Bei mir entstand daraus dann das Kunstwerk, das ihr auf der rechten Seite sehen könnt. Wer meine Eltern kennt, kann sicherlich Ähnlichkeiten erkennen. Zumindest finde ich, dass ich vor allem Mutter sehr gut getroffen habe. Meine Kunst bezeichnete ich übrigens zur Erheiterung der Runde als “kindlicher Post-Modernismus”. War definitiv der Unbegabteste, was das Zeichnen anging. Die Bilder der anderen sahen viel besser aus :smile: .

Stichwort Nr. 2 war dann “Ein Sonntag mit der Familie”. Dazu schrieben wir den ersten längeren Text und lasen ihn uns gegenseitig vor. Für mich war das Vorlesen tatsächlich noch mehr als das Schreiben ein absolutes Highlight. Nicht nur, weil ich so neue Eindrücke aus den Leben der anderen erfahren konnte. Sondern auch, weil das Vorlesen nochmal die Möglichkeit gibt dem eigenen Text… ja, etwas mehr Leben einzuhauchen. Es ist definitiv eine Sache etwas einfach nur zu lesen und eine ganz andere, wenn einem der Autor seine Intentionen zusätzlich verbal rüberbringt. Das habe ich entsprechend durchaus genossen und ausgenutzt. Und zumindest gefühlt kam es auch gut in der Gruppe an, was ich da im Laufe der Woche fabriziert und wie ich es vorgelesen habe. Im Anschluss war die Aufgabe ein Wort-Art zu malen. Wir sollten uns zehn Wörter aus unserem Text suchen und damit dann ein Bild zeichnen. Meins fällt dabei in die Kategorie „wörtlich genommen“ – ich hab einfach versucht alle Begriffe irgendwie halbwegs sinnvoll angeordnet unterzubringen.

Tag 2 und 3

Das Thema an Tag 2 war die eigene Lebenslinie. Dazu sind wir zuerst in die nahegelegene Fasanerie gegangen. Allein auf uns gestellt war die Aufgabe unser Leben von heute an zurückzugehen bis zu unserer Geburt – und zwar in einer Spirale. Der Hintergedanke war natürlich uns unsere Zeit auf dieser Erde wieder ins Gedächtnis zu rufen, damit wir dann im Anschluss darüber schreiben konnten. Als Inspiration für das dazugehörige Bild gab es die Idee die Häuser zu malen, in denen man in seinem Leben schon gewohnt hat und diese quasi als Stationen für die dazugehörigen Ereignisse zu nutzen. Da mein Leben allerdings bislang ziemlich stationär ablief (vier Häuser – in zweien weniger als ein Jahr verbracht), habe ich mich stattdessen für eine klassische Lebenslinie entschieden. Und ja, es war eine bewusste Entscheidung meine Schreibarbeit (Webseite, Studium, GamersGlobal) sehr dominant in die Mitte zu setzen. Das war und ist für mich was sehr Wichtiges und Prägendes.

An diesem Punkt haben wir dann das Konzept der Dozentin etwas durcheinandergeworfen. Zumindest war es eigentlich nicht die Idee, dass jetzt jeder seine komplette Lebensgeschichte erzählt. Aber die erste Vorträgerin fing damit an und dann haben wir das halt bis zum Ende mehr (=die anderen) oder weniger (=ich) ausführlich durchgezogen. Das hat – verständlicherweise – den ganzen Mittwoch gedauert. Doch ehrlich gesagt empfand ich (und die anderen) das als äußerst wertvolle Erfahrung. Wie gesagt: Wo bekommt man sonst so einen tiefen Einblick in ein anderes Leben und mitunter auch eine andere Zeit (die älteste Dame war 71).

Tag 4 und 5

Viel Papier gebraucht in der Woche

Die Überschrift für den Donnerstag war die erste Liebe. Das ist bei mir bekanntlich auch die einzige – zumindest, wenn man es auf Menschen bezieht. Aber das ist ja nicht weiter tragisch. Stattdessen habe ich an diesem Tag meinen längsten Text des Bildungsurlaubs verfasst. Ihr könnt ihn ab morgen hier lesen. Dort erfahrt ihr erstmals, wie es mit Lysanda und mir anfing. Das hatte ich euch damals bei der „Enthüllung“ ja noch verschwiegen. Aber mittlerweile ist so viel Wasser den Main/Rhein/Mosel runtergeflossen, da kann ich ruhig das Geheimnis lüften. Mal abgesehen davon, dass ich den Text als wirklich gelungen ansehe. Kann jedoch nicht ausschließen, dass ich dahingehend ein wenig voreingenommen sein könnte :wink: . Zum Text wurde dann wieder ein Bild gemalt – dieses Mal mit Aquarellfarben. Ich habe die zentrale Szene aus meiner Erzählung dazu hergenommen. Ihr findet es ebenfalls im dazugehörigen Eintrag, wie auch alle anderen Bilder, die ich zu den jeweiligen Berichten angefertigt habe.

Am letzten Tag gab uns die Dozentin nach dem Impuls dann gleich drei Aufgaben:

  1. Schreibe eine Liste der Menschen, die mich gestärkt haben und die dazugehörige Ressource.
  2. Beantworte in Textform die Frage, wer davon mich am meisten geprägt hat.
  3. Bastele ein Büchlein entweder über den Bildungsurlaub oder über die eigene Zukunft.

Wie die meisten in der Gruppe, habe ich mich erst einmal ans Basteln gemacht. Auch, weil ich mir mit dem Erstellen der Liste extrem schwergetan habe. Mit dem Ergebnis, dass ich am Ende keine hatte. Und der dazugehörige Text (ab Mittwoch an dieser Stelle zu finden) ging mir tatsächlich ebenfalls nicht so locker flockig aus der Hand wie die vorherigen. Er wurde am Ende sogar der kürzeste Text der Woche (abseits der Impulse). Aber nach dem Vorlesen waren die Anwesenden durchaus ein wenig sprachlos ob meiner emotionalen Liebeserklärung an Lysanda. Insofern scheine ich was richtig gemacht zu haben.

Zum Büchlein habe ich hingegen gar nicht viel zu sagen. Ich habe den Bildungsurlaub als Thema genommen und mich einfach von den Bildern inspirieren lassen, die ich in den Illustrierten gefunden habe. Zumindest ich finde die ein oder andere Sache durchaus amüsant und habe viel geschmunzelt beim Basteln.

Und dann war der Bildungsurlaub leider auch schon wieder vorbei. Also zumindest nachdem wir noch ein letztes Elfchen zum Thema Bildungsurlaub geschrieben und eine finale Feedbackrunde gemacht hatten. Das war nämlich noch eine Sache, die wir zusätzlich zu den langen Texten schreiben durften: Ein kleines Gedicht. Und als Form war uns eben das Elfchen vorgegeben. Meine findet ihr ab Donnerstag dann hier. Ich weiß, ich bin absolut gemein :tongue: . Aber im Prinzip ist die Grundvorgabe schlicht und einfach ein Gedicht mit elf Wörtern zu schreiben.

Fazit

Über meinen Bildungsurlaub im April hatte ich geschrieben, dass es für mich der bislang beste war, den ich hatte. Nach dieser Woche bin ich mir da ehrlich gesagt nicht mehr ganz sicher. Das Autobiografische Gestalten und Schreiben war extrem kurzweilig (die Tage vergingen buchstäblich wie im Fluge) und hat mir sehr viel Spaß gemacht. Einfach so auf Basis eines Triggers handschriftlich aus meinem Leben zu erzählen, anschließend etwas dazu zu malen und beides dann auch noch vorzutragen war für mich schon durchaus was Besonders und ein schönes Erlebnis. Und dann waren wir (zum Glück) auch noch eine Gruppe voller gleichgesinnter. Keiner, der aus dem Rahmen fiel und uns in die Suppe spuckte. Stattdessen haben alle das Angebot der Dozentin dankend angenommen und sich der Sache hingegeben. Das schaffte eine angenehme Atmosphäre, in der auch jeder – ich inklusive – bereit war loszulassen und sich zu öffnen, egal wie emotional es teilweise wurde.

Zurück bleibt für mich somit zum einen der Wunsch diesen Bildungsurlaub irgendwann nochmal zu machen. Wobei die Dozentin sich leider aufgrund des Aufwands nicht ganz sicher ist, ob sie ihn nochmal durchführt. Zum anderen die Erkenntnis, dass es doch ein paar Sachen in meinem Leben gibt, über die es sich zu berichten lohnt. Ach, und die mich beflügelnde Befriedigung, dass ich durchaus gute und mitreißende Texte schreiben kann. Zumindest würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass das äußerst positive Feedback nicht Balsam auf meiner Seele gewesen wäre :smile: .

Da stand Sicarius also. Irgendwo in der Mitte der Fasanerie. Der Boden unter seinen Füßen bedeckt mit Herbstlaub. Über ihm die sich lichtenden Kronen der Bäume. Um ihn herum war Stille. Keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Nur der bitterkalte Wind, der durch den Wald blies und Sicarius frösteln ließ.

Die Aufgabe war auf dem Papier ganz simpel: Erinnere dich zurück an deinen Lebensweg. Gehe in einer Spirale von heute an zurück bis du zum Ursprung gelangst – deiner Geburt.

Schon bei der Aufgabenstellung kamen bei Sicarius viele Unsicherheiten hoch, die er mit ungestellten Fragen zu kaschieren versuchte. Beispielsweise ist unser Ursprung doch eigentlich nicht die Geburt. Stattdessen wird das, was wir sind, doch theoretisch viel früher geformt. Die Erinnerung der Mutter, des Vaters und der vielen Generationen vor uns sind uns mitunter nicht bewusst. Und doch begleiten und formen sie uns ein Leben lang, wenn wir nichts dagegen tun.

Doch zurück zu Sicarius, wie er dort einsam und allein mit seinen Gedanken auf der Lichtung stand. Er behauptet immer, er könne sich an Nichts erinnern. Und ja, er hat durch seine Schwierigkeiten. Die wichtige Information der liebenden Ehefrau am Mittagstisch, die am Abend schon wieder vergessen ist. Die Erinnerung an freudige Ereignisse in der letzten Woche – sein Gehirn scheint nicht gewillt oder in der Lage sich sowas zu merken. Vielleicht erscheint ihm das alles als Unwichtig. Aber, dass z.B. QUAKE III Arena von id Software am 2. Dezember 1999 auf den Markt kam – das weiß er immer noch und auf Abruf.

Und wenn man genauer nachfragt, fallen ihm dann doch wieder einige Sachen aus der Kindheit und Jugend ein. Ja, es mag nicht viel sein. Möglicherweise hat er tatsächlich vieles vergessen oder aus Selbstschutz verdrängt. Aber, dass da Nichts wäre, ist schlicht und einfach eine Lüge, die er sich und anderen erzählt. Vielleicht aus Angst, was dabei hochkommt?

Meine Lebenslinie

Panik stieg so langsam in Sicarius auf. Die Zeit lief ihm davon und er wusste, dass er im Anschluss an diese Übung etwas schreiben musste. Entsprechend brachte es nichts hier einfach nur zu stehen und abzuwarten. Also machte er endlich den ersten Schritt in die Spirale hinein. Es war ein ziemlich großer. Viele Jahre zurück zu seiner Hochzeit. Dann ein kleiner Schritt zum gemeinsamen Hauskauf. Gefolgt von der 1. Verabredung. Der Jobwechsel nach Darmstadt. Der Jobwechsel nach Nürnberg. Das große Projekt auf der Arbeit in Aschaffenburg.

Es waren viele kleine Schritte, die Sicarius da plötzlich ging. Die Zeit in der Redaktion von GamersGlobal. Das Journalismus-Fernstudium. Die Gründung der Webseite. Irgendwie waren da doch so einige Erinnerung, die da hochkamen. Interessanterweise aber wenige mit seinen Eltern, Geschwistern und der restlichen, buckligen Verwandtschaft. Stattdessen eher Meilensteine, die er aus seiner Sicht erreicht hat – oftmals mit der Unterstützung anderer. Das ist nämlich noch so ein Punkt. Er behauptet immer total allein zu sein. Die Realität ist aber, dass er nur selten wirklich allein war. Früher nicht so sehr geliebt und geboren, wie er sich das vielleicht gewünscht hätte. Aber alleine? Nicht wirklich.

Sicarius‘ Schritte in der Spirale wurden wieder etwas größer. Er sagt immer, dass sein Leben erst mit 21 Jahren begann. Als seine Geschwister und er endlich dem Vater die Stirn bieten konnten. Als er nach der Ausbildung endlich etwas fand, was ihm Spaß bereitete. Und er endlich die endlosen Jahre an der Schulbank hinter sich lassen konnte.

Davor ist ein ziemlich großes Loch. Erinnerungsfetzen, meist an keine schönen Ereignisse wie Mobbing in der Schule, die Situation Zuhause und dergleichen. Entsprechend schnell gestaltet sich Sicarius‘ weiterer Weg zur Mitte der Spirale. Allerdings kommt er nicht im Mittelpunkt zum Stehen. An seine Geburt kann er sich nämlich nicht erinnern. Und Erzählung dazu kennt er ebenfalls nicht. Stattdessen endet seine Reise an seiner ersten Erinnerung, derer er sich selbst bewusst ist. Er war im Kindergarten. Es wurde gebastelt. Pappmaché-Hühner, die dann mit echten Federn beklebt wurden. Sicarius hat davon nur den Anfang erfahren, bevor er von seiner Mutter abgeholt und zu den Großeltern gebracht wurde. Die Federn hatten erstmals sein Asthma zum Vorschein gebracht.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Mein Wort-Art “Sonntag in meiner Familie”

Gleichförmigkeit, Tradition, Bekanntes – das sind ein paar der Stichworte, die ganz gut mein Elternhaus beschreiben. Das Haus mitten im kleinen Dorf, 20m von der großen, katholischen Kirche entfernt und irgendwo in der unterfränkischen Provinz.

Warum auch immer, war ich von Anfang an ein Frühaufsteher. Meine Mutter musste mich nur selten aus dem Bett holen – selbst sonntags nicht. Im Gegenteil war ich an einem typischen Sonntag sogar meist der erste auf den Beinen. Es passierte nicht sehr häufig, aber eine meiner schönsten Sonntagserinnerung ist, dass ich dann im Schlafanzug in die Küche bin. Habe mir dort dann ein paar Aufback-Croissants aus dem Gefrierfach geholt und sie in den bodennahen Backofen zum Backen gelegt. Dann habe ich mir einen kleinen Hocker geholt und mich davorgesetzt, um den Croissants beim Wachsen zuzusehen. Die Wärme strahlte dabei auf mein Gesicht und ich fühlte mich auf eine gewisse Art und Weise geliebt und geboren.

Nachdem die Croissants fertig waren, habe ich mir eine Tasse heißes Wasser gemacht. Da dann ordentlich Zucker rein und 1-2 Teelöffel von diesem komischen Gerstenkaffee. Die Älteren unter euch wissen sicherlich, was ich meine (CARO). Da habe ich dann meine Croissants eingetunkt und gegessen. In Kaba eingetunkt schmeckten die warum auch immer nicht.

In der Zwischenzeit war dann meist schon meine Mutter ebenfalls aufgestanden und hat ihrerseits ihren Tag begonnen. Damals war noch jeden Sonntag um 9 Uhr die Heilige Messe und als Bewohner eines streng katholischen Dorfes durften wir da natürlich nie fehlen. Sie als vorbildliche Gläubige auf den Bänken, ich vorne beim Pfarrer als anständiger Messdiener. Weil man das halt damals so gemacht hat und es die Ordnung der Dinge war. Gefragt wurde da nicht. Nur gelästert über die, die nicht mitmachten.

Nach der Kirche wurde der sonntägliche Besuch bei Oma und Opa vorbereitet. Mütterlicherseits. Väterlicherseits waren bereits verblichen. Gegen 11 Uhr stiegen wir ins Auto und fuhren los, aber nicht auf direktem Wege, sondern erst in die Heimatgemeinde. Dort hatte sonntags nämlich immer bis 12 Uhr die katholische Bibliothek an der Kirche geöffnet. Dort durften wir Kinder uns dann was zum Ausleihen aussuchen. Und ja, bei mir waren es vermutlich die meiste Zeit irgendwelche Comics.

Von der Bibliothek aus ging es aber dann die 4-5 Ortschaften weiter zu den Großeltern. Pünktlich zum Beginn der Sendung mit der Maus waren wir immer dort und durften diese dann schauen. Um Punkt 12 gab es Mittagessen – gekocht von Opa. Seine Frau durfte „nur“ unter der Woche dran. Gegessen wurde gut meist gut bürgerlich Deutsch: Rotkraut, Braten, Klöße – sowas halt.

Am Ende des Mittagessens stand das Abräumen, spülen und abtrocknen, natürlich unter tatkräftiger Unterstützung der anwesenden Kinder. Bei gutem Wetter folgte ein mehr oder weniger umfangreicher Spaziergang. Durch den Ort hindurch hinaus in Richtung Felder und Wald. Im Sommer auch mal zur im Wald gelegenen Kneippanlage zum Abkühlen.

Wieder bei den Großaltern angekommen, bestand das Programm wahlweise aus Fernsehen, sehr beliebt war die Formel 1 auf RTL, oder gemeinsam Brettspiele am Küchentisch spielen – zumindest bis es Zeit für den Kaffee war und wieder Platz gemacht werden musste. Am Kaffee war ich selten interessiert. Meist war kein Kuchen für mich dabei und Kaffee (außer den CARO) mag ich nicht.

Wenn die gesamten Geschwister da waren, ging es im Anschluss wieder weiter mit Gesprächen, Spielen, Fernsehen bis zum Abendessen. Und nach dem erneuten Mahl – ja, es gab bei Oma und Opa immer viel zu essen -, wurde es dann Zeit nach Hause zu fahren. Meine persönliche Hoffnung war dabei immer pünktlich für die Knoff-Hoff-Show daheim zu sein. Danach ging es dann relativ zügig ins Bett.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Ich schrieb auf meinem Blog: Die depressiven und selbstzerstörenden Phasen sind weniger geworden. Ganz weg sind sie aber nicht. Es gibt immer noch Trigger, die mich von einem Moment auf den anderen in den Abgrund reißen. Das wird sich vermutlich auch nie ändern. Meine Seele ist angeschlagen. Ein Stück von ihr unwiederbringlich zerstört.

Ich löschte den Eintrag wieder. Niemand möchte solche negativen Gedanken lesen. Und was würden potentielle Arbeitgeber, Freunde oder Partner denken, wenn sie es lesen würden? „Psychisch labil – nicht zu gebrauchen!“

Ich schrieb auf meinem Blog: Mein Leben ist super. Mir geht es gut. Ich bin wunschlos glücklich. Ich habe einen liebevollen Partner, zwei unkomplizierte und hochbegabte Kinder, einen treuen Hund und wir wohnen in einem wunderschönen Haus mit großem Grundstück auf dem Land, Wir leben das idealste Leben, das ein Mensch haben kann.

Ich drückte auf den „Veröffentlichen“-Knopf. Nichts davon entsprach der Wahrheit. Es waren meine eigenen Wunschträume. Aber indem ich nach außen hin so tue als ob, glaube ich am Ende vielleicht selbst dran und stürze mich nicht verzweifelt von der nächsten Brücke.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Sicarius

10-Minuten-Impuls, Tag 4

Die Liebe ist, per Definition, etwas Nebulöses, nicht Greifbares. Möglicherweise vergleichbar mit einem göttlichen Wesen. Während eine solche Existenz jedoch nicht nachweisbar ist, kann man die Liebe mitunter sogar auf den ersten Blick sehen. Das widerspricht freilich der ursprünglichen Aussage, dass sie Nebulös und nicht greifbar wäre. Schließlich ist Liebe dann doch sogar wissenschaftlich belegbar. Das Herzklopfen, die Schmetterlinge im Bauch und eine Veränderung im Hormonhaushalt – es gibt so einige eindeutig messbare Faktoren, um eine verliebte Person zu identifizieren.

Und selbst ohne die ganzen Messinstrumente ist sie für Laien mitunter sehr offensichtlich erkennbar. Nichtsdestotrotz: Liebe nachzuweisen ist eine Sache. Sie zu verstehen und vor allem in sich selbst zu erkennen, ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung. Liebe macht schließlich nicht nur blind gegenüber anderen Dingen. Sie ist auch sehr gut darin sich selbst zu verstecken. Wobei im Extremfall es nicht die Schuld der Liebe ist. Manchmal entscheidet unser Unterbewusstsein, dass es die Liebe gerade gar nicht gebrauchen kann und verheimlicht sie vor uns. Immer mit der Absicht uns zu schützen. Aber ob das wirklich jedes Mal die richtige Entscheidung war? Das werden wir wohl nie erfahren.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Nächste Seite »