Vor mehr als vier Jahren habe ich euch an dieser Stelle im Rahmen meiner (leider sehr kurzlebigen) Videoreihe Christoph stellt vor Grim Dawn…nun ja, vorgestellt halt . Gut ein Jahr nach dem dazugehörigen Kickstarter stand damals die erste Alpha-Version für die Backer bereit. Mittlerweile ist das Spiel nicht nur schon über ein Jahr (25. Februar 2016) erfolgreich (über 1 Millionen Mal verkauft) auf dem Markt – seit letzter Woche gibt es sogar das erste, richtige Add-on namens Ashes of Malmouth. Das erhöht nicht nur den Level Cap auf 100 und den Devotion Cap auf 55 (durch Glaubenspunkte könnt ihr Sternenbilder freischalten, die euch bestimmte Boni geben), sondern es gibt auch noch zwei neue Klassen (Nekromant und Inquisitor), zwei weitere Kampagnenakte und haufenweise anderes Zeugs (mehr Gegner, mehr Gegenstände, mehr Umgebungen, etc.).
Angesichts der Veröffentlichungen von Divinity: Original Sin 2 vor kurzem, das vermutlich von 99% aller Magazine dieses Jahr zumindest das Prädikat “Rollenspiel des Jahres” bekommen wird (zu Recht versteht sich!), interessiert sich aktuell aber vermutlich keiner so richtig für Grim Dawn. Ich schon. Zugegeben, hauptsächlich weil ich Divinity: Original Sin (Enhanced Edition) durchspielen will, bevor ich Teil 2 richtig anfange, dafür jedoch aktuell keine Lust habe. Doch wen kümmern schon solche Details? Schauen wir uns also das Erstlingswerk von Crate Entertainment mal genauer an. Und nein, ich setze nicht voraus, dass ihr das obige Video vorher schaut. Ich weiß, dass es nicht der absolute Brüller ist .
Die Entwicklungsgeschichte
Um Grim Dawn wirklich zu verstehen, müssen wir noch weiter zurückspringen. Und zwar in das Jahr 2006. Damals, am 26. Juni 2006 (also fast genau zehn Jahre vorher), hat das Entwicklerstudio Iron Lore Entertainment sein Erstlingswerk Titan Quest veröffentlicht. Basierend auf der hauseigenen PathEngine, handelte es sich um ein Action-Rollenspiel vom Schlage eines Diablo nur angesiedelt in der mythologischen Antike, mit viel mehr Inhalten (Größe der Spielwelt, Anzahl der Quests, etc.) und statt der Möglichkeit nur eine Klasse zu wählen, konntet ihr gleich zwei haben (musstet eure Levelup-Punkte aber natürlich entsprechend aufteilen). Der Titel wurde zu einem absoluten Geheimtipp (auch heute noch absolut zu empfehlen!) und ein Jahr später folgte das Add-on Titan Quest: Immortals. Leider half “Geheimtipp” nicht die Kosten zu decken, weshalb 2008 das Studio schließen musste. Die Schuld wurde allen möglichen Leuten gegeben. Zum einen natürlich den Raubkopierern, aber genauso den Hardwareherstellern, deren Komplettsysteme mit integrierten Audio- und Grafikchips zu massiven Kompatibilitätsproblemen geführt hätten. Mal abgesehen davon, dass 2006 grundsätzlich ein eher schlechtes Jahr für PC war. Damals hatte die neue Konsolengeneration ja erst richtig begonnen. Ach und kein Publisher wollte ihr Folgeprojekt unterstützten.
Was macht man also, wenn das Geld nicht mehr reicht? Genau: Insolvenz anmelden, den Laden schließen und keine zwei Tage später eine neue Firma gründen: Crate Entertainment. Dann wurde zuerst die unangekündigte IP “Black Legion” zurückgekauft (die, für die sie keinen Publisher fanden) und anschließend ihre PathEngine. Mit beidem im Gepäck konnte 2010 endlich das neue Spiel vorgestellt werden: Grim Dawn. Ja, der Titel war bis zur Veröffentlichung über sechs Jahre in der Entwicklung! Leider wollte ihn immer noch keiner haben, weshalb er 2012 (die Firma bestand zu dem Zeitpunkt aus nur zwei Mitarbeitern) zu einer der ersten Kickstarter-Erfolgsstories wurde nachdem Broken Age die Fluttore geöffnet hatte.
Das Spiel
Wir wissen also nun, dass hinter Crate Entertainment die Macher von Titan Quest stecken und Grim Dawn auf einer (massiv überarbeiteten) Version der PathEngine basiert. Vermutlich könnt ihr jetzt schon zwei und zwei zusammenzählen, um auf fünf zu kommen: Grim Dawn ist ein Action-Rollenspiel in einem mythologischen viktorianischen Setting (allerdings viel weniger Steampunk als in The Incredible Adventures of Van Helsing), dessen Alleinstellungsmerkmal die Möglichkeit ist durch das Verbinden von zwei “Masteries” eine neue Klasse zu kreieren (aber nicht bei Spielstart, sondern erst ab Level 10). Mit dem Add-on sind es nun acht Klassen, die ihr tatsächlich vollkommen beliebig miteinander kombinieren könnt. Ich habe mich bei meinen Neustart mit Veröffentlichung des Add-ons logischerweise für einen Apostate entschieden. Das ist die Kombination aus Nekromant und Inquisitor – den beiden neuen Klassen. Ich zaubere Hilfe herbei (aktuell vier hochgepowerte Skelette), kann gleichzeitig fleißig verschiedene Kampfzauber sprechen und schieße parallel aus der Ferne mit meiner Flinte auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen oder ein unsterblicher NPC ist.
Das grundlegende Spielprinzip sollte jedem mittlerweile bekannt sein: In Hubs gibt es Quests, die entweder euch alleine oder mit drei Freunden hinaus in die (nicht zufallsgenerierte!) Wildnis führen. Dort erwarten euch viele unterschiedliche Arten von Gegnern – darunter auch Minibosse und Bosse. Ihr klickt fleißig mit links drauf bis sie tot sind und bei ihrem Ableben lassen sie mitunter Gegenstände von diverser Qualität fallen. Die sammelt ihr genauso ein, wie die Sachen, die aus Truhen herausfallen und statt damit entweder euren Charakter aus oder verkauft sie einem Händler. Und da heutzutage kein Spiel mehr ohne “Crafting” auskommen darf, gibt es natürlich hier ebenso hunderte verschiedene Rezepte, mit denen ihr eure Ausstattung noch einen Tick besser machen könnt.
Herausstellungsmerkmale
So viel Standard, so viel Action-Rollenspiel. Warum solltet ihr also nun Grim Dawn spielen statt weiter in Diablo III oder Path of Exile stupide herumzugrinden? Nun, da wäre zum einen die Grafik (Isometrische Ansicht, vollständig zoom- und drehbar ist). Man merkt der Engine zwar trotz des Upgrades ihr Alter an (viele eckige Kanten) und entsprechend kann es bei der rohen Power nicht einmal mit Divinity: Original Sin mithalten. Aber der Detailgrad vor allem der Umgebungen ist abartig hoch – fast schon zu hoch, weil man teils gar nicht mehr erkennen kann was jetzt eigentlich ein nutzbares Objekt oder nur Hintergrund ist. Seit Titan Quest habe ich kein so atmosphärisches ARPG mehr gezockt (Divinity: Original Sin ist kein ARPG – aber in Sachen Detailgrad eindeutig vergleichbar). Zusammen mit den vielen Kampf- und Drumherumeffekten (jede Region hat ihr eigenes Wetter, das sich fließend ändert und es gibt Tag-/Nachtwechsel) und den abwechslungsreichen Gegnertypen macht der Titel optisch richtig was her, finde ich.
Zum anderen ist wäre da die Komplexität des Titels. Schon mit nur einer Klasse müsst ihr genau überlegen, wie ihr eure Punkte im Skill Tree verteilt. So könnt ihr nicht einfach nur linear in Skills investieren, sondern diese müssen erst noch freigeschaltet werden indem ihr grundlegende Punkte in die Klasse steckt. Es will also sehr stark abgewägt sein, ob ihr nach dem Aufstieg lieber den Punkt in die horizontale Linie investiert und dafür beim nächsten Mal einen neuen Skill freischalten könnt. Oder doch lieber erst einen bestehenden Skill weiter auflevelt. Bei zwei Klassen wird es nur noch schlimmer. Zum Glück könnt ihr jederzeit bei einem Trainer alles zurücksetzen. Nur ein Klassenwechsel ist nicht möglich. Und es nur drei Attribute (Physique, Cunning und Spirit). Wenn das auch noch die üblichen 6-10 Stück wären… Dazu kommen die eingangs erwähnten Sternenbilder, das Crafting sowie die wirklich tausend verschiedenen Arten von Gegenständen. Ihr seht: Die Individualisierungsoptionen für euren Charakter sind fast schon erschlagend.
Lebendige Welt
Zu guter Letzt ist da natürlich noch das Drumherum. Wo Diablo ja schon immer sehr mit Aufgaben spart und sich voll und ganz auf das (aus seiner Sicht) wesentliche konzentriert, gehört Grim Dawn eindeutig mehr zu meiner geliebten Sorte ARPG mit echten Inhalten. Es gibt viele Quests, die Spielwelt (viktorianisch erlaubt viele unterschiedliche Varianten) und die Charaktere sind interessant und haben viel zu erzählen und ihr lauft eben nicht nur stupide durch die Gegend, um alles zu töten was euch vor die Nase kommt. Okay, letzteres stimmt natürlich nicht ganz, weil freilich alle Quests am Ende darauf hinauslaufen. Aber ihr wisst was ich meine: Das Töten hat einen Sinn und es gibt einen roten Faden.
Cool ist auch, dass es sowohl freundliche und gegnerische Fraktionen gibt mit entsprechenden Auswirkungen. Also bei befreundeten Fraktionen bekommt ihr mehr Quests und einen besseren Deal bei Händlern. Befeindete schicken hingegen stärkere Gegner auf euch los, wenn ihr sie zu viel ärgert. Weder das eine noch das andere könnt ihr technisch gesehen tatsächlich großartig beeinflussen (das Spiel entscheidet für euch, wen ihr angreifen könnt und wen nicht). Aber ich finde es trotzdem ein nettes Feature, was zusätzliche Abwechslung reinbringt. Genauso wie die Möglichkeit in der Wildnis Überlebende zu finden oder Bauwerke wieder her zu richten. Letzteres wird meist gebraucht um Zugang oder zumindest einfacheren Zugang zu neuen Regionen zu bekommen (z.B. eine Brücke reparieren). Ersteres schaltet logischerweise weitere Händler, Questgeber und dergleichen frei.
Beim Christoph meint: Wem Divinity: Original Sin 2 zu sehr CRPG ist und stattdessen ein ARPG sucht, der wird bei Grim Dawn aus meiner Sicht nicht nur fündig, sondern auch glücklich. Mit 35 Euro auf Steam (mit allen DLCs), ist es nicht mehr das teuerste auf dem Markt und stundenlange Unterhaltung ist garantiert. Das Setting ist trotz der Konkurrenz durch Victor Vran und The Incredible Adventures of Van Helsing immer noch angenehm frisch und in Sachen Freiheit gibt es faktisch abseits von Titan Quest immer noch kein vergleichbares ARPG auf dem Markt. Bei mir war die Suchtspirale auf jeden Fall sofort wieder da und, zum Leidwesen von Lysanda, ich habe auch schon wieder einige Stunden darin versenkt ohne mich zu langweilen. Nachdem mich Dishonored 2 grad nicht ganz so reizt, dürfte das jetzt auch mein nächster Spielefokus sein – also abseits von Learn Japanese To Survive – Hiragana Battle. Aber das Spiele ich bekanntlich aus anderen Gründen .