Der Spieleherbst ist in vollem Gange. Seit Wochen erscheint Top-Titel nach Top-Titel, der um die Gunst der Spielerschaft buhlt (während ich mich weiterhin ausschließlich mit Grim Dawn beschäftige). Und wie immer, wenn ein Blockbuster auf den anderen folgt, wird dabei auch ein aktueller Trend in der Spielebranche deutlich sichtbar. In diesem Jahr heißt dieser ganz klar “Lootboxen/-crates”.
Das sind Kisten, die der Spieler entweder zufällig im Laufe des Spiels erhält oder sich mit diversen Ressourcen (Echtgeld oder Ingamewährung) in einem Ingameshop kaufen kann. Manchmal ist zusätzlich noch ein Schlüssel (auch wieder gegen Echtgeld oder Ingamewährung) notwendig, um sie zu öffnen. Enthalten ist das Versprechen etwas aus einer Reihe von Skins/Gegenständen/Boostern mit unterschiedlichem Wert zu erhalten. Je begehrter der Skin/Gegenstand/Booster, desto niedriger seine Wahrscheinlichkeit ihn durch das Öffnen so einer Box zu bekommen. Es ist quasi im Kern nichts anderes als beispielsweise die Booster Packs bei Kartenspielen wie Magic: The Gathering oder Pokémon.
Alter Hut
Das Konzept von “Lootcrates” an sich ist freilich nichts Neues. Im mobilen Bereich kommen sie schon seit den Anfängen vor allem in Free-2-Play-Titeln zum Einsatz. Allein in Dynasty Warrior: Unleashed gibt es beispielsweise Dutzende verschiedene Varianten an Kisten und Schriftrollen für jeden Aspekt des Spiels. Sie enthalten Offiziere, Waffen, Rüstungen, etc. und sind ein zentraler Faktor, um sein Heldenteam verbessern zu können.
Auf dem PC hat vor allem Valve mit ihren Kisten in Counter-Strike, Team Fortress 2 und DOTA 2 bereits so einige Millionen Euro gescheffelt und teilweise sogar einen regelrechten Schwarz- und Glücksspielmarkt erschaffen. Auch EA hat mit Titanfall oder in der Battlefield-Reihe bereits damit fleißig experimentiert. Jetzt kommen Lootboxen aber nicht nur vermehrt im “Mainstream” an (in Bezug auf PC & Konsolen) – sie erhalten aus Sicht der Spieler zudem ganz neue Dimensionen. Im Speziellen haben Middle-Earth: Shadow of War und Star Wars: Battlefront II in den letzten Wochen die Gemüter erregt obwohl Titel wie Assassin’s Creed: Origins oder Call of Duty: WWII ebenso Lootboxen enthalten.
Die Beispiele
Grundsätzlich sind sowohl Middle-Earth: Shadow of War als auch Star Wars: Battlefront II laut Kritikern und Spielern sehr gute und empfehlenswerte Titel. Der Spielspaß wird aber wohl in beiden durch Lootcrates geschmälert.
In Middle-Earth: Shadow of War gibt es ein Post-Endgame in dem es darum geht Festungen einzunehmen und zu verteidigen. Um das zu tun, benötigt ihr Orks mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, die an eurer Seite stehen. Nun könnt ihr entweder hinaus in die Welt gehen und Orks versklaven. Das braucht Zeit, ist mitunter nicht gerade sehr anspruchsvoll und spaßig und es gibt keine Garantie, dass der versklavte Ork auch tatsächlich euren Ansprüchen genügt. Um die Sache abzukürzen, könnt ihr Lootcrates kaufen. Die geben euch genauso wenig eine Garantie, dass ihr genau den richtigen Ork erhaltet. Aber es spart natürlich Zeit im Austausch gegen Geld. Entsprechend der Vorwurf der Spieler: Das Post-Endgame wurde ausschließlich so langatmig gestaltet, damit ihr Geld ausgebt, um es abzukürzen.
Bei Star Wars: Battlefront II enthalten die Lootcrates hingegen Objekte, welche die Balance im Mehrspielermodus verändern. Also nicht nur einfach kosmetische Veränderungen wie Skins oder mal einen Erfahrungspunkteboost wie bspw. in Battlefield 3. Stattdessen merkliche Verbesserungen der Fähigkeiten eures Helden oder Fahrzeugs. Und auch wenn viele Waffen und Helden im normalen Spielverlauf durch schlichtes Aufleveln freigeschaltet werden: Einiges versteckt sich ausschließlich in einer Lootcrate. Der (bislang noch unbewiesene) Vorwurf hier: Pay-2-Win. Wer nicht bezahlt, ist schlechter gestellt als der, der bezahlt. Statt Skill entscheidet der Geldbeutel über Sieg oder Niederlage.
Das Thema
Die Aussage der Hersteller ist oft, dass alles was in Lootcrates zu finden ist, auch auf normalem Wege zu erspielen ist. Damit ist entweder gemeint, dass ihr keine Lootcrates kaufen müsst oder die Lootcrates mit im Spiel erhaltener Währung kaufbar sind. Das stimmt natürlich, ist aber eigentlich immer mit einer teils extremen Zeitinvestition verbunden. Bei Free-2-Play wie anfangs geschrieben schon lange an der Tagesordnung. Jetzt eben langsam aber sicher Teil von Vollpreistiteln im Allgemeinen und “Games as a Service” im Speziellen.
Jetzt kann man natürlich lang und breit darüber schimpfen wie böse die Hersteller/Entwickler sind und wie scheiße diese Entwicklung doch ist und wie die ganze Videospielebranche komplett den Bach runter geht dadurch. Auch ich bin absolut kein Fan von Lootcrates und was sie vor allem im Zusammenspiel mit “Games as a Service” für die Zukunft bedeuten könnten. Im Appstore auf den Smartphone ist es ja schon sichtbar: Die Top-Listen führen Titel an, die vollgepackt sind damit und im Gegenteil inhaltlich wenig mehr zu bieten haben als eine halbwegs süchtig machende Mechanik selbst wenn es nur Powercreep (“brauche stärkeres Team, um weiter zu kommen”) ist wie in Dynasty Warriors: Unleashed. Riesige Open-World-Titel wie die Assassin’s Creed-Serie mit ihrem Collectible-Wahn entwickeln sich schon länger in die gleiche Richtung.
Aber was in diesen Diskussionen immer und immer wieder zu kurz kommt (oder in Grund und Boden geschrien wird), ist die einfache Tatsache: Wir alle sind selbst mit schuld an dieser Entwicklung. Die Spiele im Appstore sind ja nicht an erster Stelle, weil Apple sie da positioniert hat. Nein, sie sind dort weil es teils Millionen von Spielern gibt, die sie (für mich oftmals völlig unverständlicherweise) spielen. Selbst Lysanda zeigte keinerlei Mitgefühl (so gemein! ) als ich meinte, dass ich diesen Trend traurig finde und verwies (zu Recht!) darauf, dass die Hersteller Wirtschaftsunternehmen und keine Almosenfabriken sind.
Der Teufelskreis
Hergestellt wird, was der Markt will und Geld bringt. Und der Markt, also wir, fordert zwar auf der einen Seite Titel mit langer Spielzeit vollgestopft mit starken Inhalten (The Witcher 3 wird mit seinen 200 Stunden mit hoher Qualität aktuell immer als Paradebeispiel genannt). Aber bereit dafür (vorab?) zu bezahlen sind wir einfach nicht. Der Preis eines Spiels zum Releasetag hat sich seit zwei Jahrzehnten nicht mehr geändert (und ist durch den Preiskampf unter den Händlern eher noch nach unten gegangen). Die wenigen Versuche mehr zu nehmen (z.B. damals bei Command & Conquer: Tiberian Sun) sind gescheitert. Einzig für die teils absurd teuren Collector’s Editions wird der Geldbeutel aufgemacht (200 Euro für eine schlecht verarbeitete Drachenstatue?!).
Stattdessen gibt es schon vor der Veröffentlichung die ersten Rabatte (kommt bei Steam überhaupt noch irgendetwas ohne 10% bis eine Woche nach Release aus?!) und kurz darauf die ersten Sales (dürfte bei Steam bald wieder losgehen). Mit dem Ergebnis, dass die Spieler dazu erzogen wurden einfach die paar Tage abzuwarten bis zum Kauf. Sie haben sowieso viel zu viel zu zocken, da macht das den Wenigsten was aus. Signifikante Patches nicht nur gegen Bugs, sondern auch mit kostenlosen Inhalten und “Games as a Service” sind mittlerweile noch mehr Argumente gegen den frühen Kauf – auch wenn dafür gefühlt die “Game of the Year”-Bundles aussterben.
Die Folge ist, dass Publisher und Entwickler andere Wege gehen müssen, um die teils absurden Kosten eines AAA-Titels reinzuholen. Nachdem wir uns an DLCs gewöhnt haben, wird nun eben mit Lootcrates die Mikrotransaktionen-Sau durch die Straßen getrieben. Und auch an die werden wir uns gewöhnen. Gibt ja heute schon Leute, die sie in beispielsweise in Overwatch super duber toll finden weil ach so hübsche Kostüme drin sind. Auf den Smartphones dieser Welt kräht sowieso mittlerweile mehr kein Hahn danach.
Fazit
Sollen wir also plötzlich wieder alle am Releasetag kaufen und jeden Sale ignorieren, um zur guten alten Zeit zurückzukehren? Nein, natürlich nicht. Der Zug ist abgefahren. Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass das was wir durch einen Sale sparen uns mit großer Wahrscheinlichkeit versucht wird hinterher auf andere Art und Weise aus der Tasche zu ziehen. Und wenn wir dann nachgeben, haben “die” gewonnen und “wir” verloren. Aber selbst wenn die eine Variante nicht mehr so gut funktioniert (oder etabliert genug ist wie bei den DLCs), dann wird es wieder etwas Neues geben. Man kann versuchen dem zu widerstehen indem man es entweder ignoriert oder zusätzliche Zeit investiert, um hoffentlich das gleiche Ergebnis zu erhalten. Aber nicht erst Star Wars: Battlefront II zeigt, dass dieses “Versprechen” auch nicht mehr lange Bestand haben wird. Das neuste Patent von Activision zur Werbung für Mikrotransaktionen (“kaufe das hier und du wirst deinen Feind in der nächsten Runde besiegen!”) zwischen Multiplayer-Matchen ist da sicherlich nur der Anfang. Die Erfahrung hat außerdem gezeigt, dass es immer genug Menschen (“Wale”) gibt, die bereitwillig den Geldbeutel auspacken (siehe Pferderüstung in The Elder Scrolls IV: Oblivion). Gefühlt wollen es vor allem die asiatischen Spieler gar nicht anders. Und solange es solche Leute gibt, solange können die “guten Gamer” so viel jammern und boykottieren wie sie wollen – es wird sich nichts ändern.
Die Gefahr bei all dem ist wie immer, dass die Qualität und Vielfalt leidet. In einem Einzelspielertitel mit dichter Geschichte lässt sich nun einmal eher weniger eine Lootcrate unterbringen als in einem Multiplayertitel oder überfrachteten Open-World-Kracher. Zumal in sich geschlossene Einzelspielertitel sowieso als “Games as a Service” eher schlecht funktionieren. Also lieber stupide Pseudo-MMOs wie Destiny auf den Markt schmeißen statt intensive Spielerlebnisse zu finanzieren, die aber am Ende zwar die Kritiker loben aber irgendwie doch die Masse nicht kauft. Oder, um beim Smartphone-Beispiel zu bleiben: Lieber das 100.000ste Free-2-Play-Match-3-Spiel auf den Markt bringen und damit tonnenweise Kohle scheffeln als ein interessantes Werk wie Monument Valley 2 für 5,50 Euro in den Appstore stellen, das am Ende keinen Gewinn bringt.