Da waren drei Wochen Urlaub schon wieder rum. In wenigen Stunden beginnt auch für uns das Arbeitsjahr 2021. Erwarte zum Glück weniger E-Mails in meinem Postfach als nach unseren vier Wochen Sommerurlaub. Bitte? Warum wir so viel Urlaub abfeiern können? Weil wir seit 2019 technisch gesehen eine 36-Stunden-Woche haben (37 werden bezahlt) aber trotzdem 38 Stunden erbringen müssen. Diese zwei Überstunden pro Wochen werden uns in Form eines “Extrazeit-Ausgleichstage”-Kontos direkt am Anfang des Jahres gutgeschrieben. Das sind rund 12 Tage, die wir zusätzlich zu unserem regulären Erholungsurlaub innerhalb des Jahres verbrauchen müssen.
Verdi redet zwar gerne von 14 aber für Tage, an denen ihr nicht arbeitet (also, wenn ihr z.B. im Urlaub seid), bekommt ihr 0,4 Stunden abgezogen, da ihr die Überzeit an diesem Tag logischerweise nicht erbracht habt. So kommt ihr allein aufgrund eures Erholungsurlaubs am Ende schon bei 12 statt 14 EzA-Tagen raus. Klingt nach kompliziertem Kokolores? Ist es auch. Aber Hauptsache die Gewerkschaft konnte tolle Schlagzeilen produzieren…
Doch ich bin schon wieder total vom Thema abgekommen, obwohl wir noch gar nicht angefangen hatten. Ich wollte eigentlich sagen, dass wir Urlaub hatten und erläutern, was ich in dieser Zeit so gespielt habe. Bevor wir aber dazu kommen können, muss ich erstmal etwas Basiswissen schaffen:
Viel zu viel Hintergrundgeschichte
Jeder von euch kennt sicherlich die Fallout-Serie. Den absoluten Rollenspiel-Klassiker, der euch in ein post-apokalyptisches Amerika versetzt und mittlerweile in der Hand von Bethesda liegt. Entwickelt vom legendären Studio Interplay, das 1983 gegründet wurde und nicht nur als Fallout-Entwickler, sondern auch als Publisher von so sagenhaften Titeln wie Baldur’s Gate oder Descent bekannt war. Eine der Firmen, deren Spiele man in den 90igern faktisch ungesehen kaufen konnte und immer einen Hit in der Hand hatte. Interplay existiert übrigens technisch gesehen immer noch, ist aber faktisch seit 2003 nur noch eine leere Hülle.
Da Fallout aber erst 1997 auf den Markt kam, stellt sich die Frage, was die Firma vorher so gemacht hat. Und eine der Antworten ist: Wasteland im Jahre 1988, der Ur-Vater der Fallout-Serie, veröffentlicht durch Electronic Arts. Und wir alle wissen wie gut Electronic Arts darin ist alte Marken wieder aufleben zu lassen – nämlich gar nicht. Interplay wollte zwar ein Wasteland 2 produzieren (sogar mehrfach), EA aber nicht. Was macht man also als Entwickler? Man gibt dem Kind einen neuen Namen. Fallout war geboren. Erst 2003 konnte inXile Entertainment, Brian Fargos neues Studio nachdem er Interplay verlassen hatte, die Rechte an Wasteland kaufen. Die lagen zu dem Zeitpunkt übrigens bei Konami. Aber das ist eine andere, viel längere Geschichte. Es sollte dann trotzdem noch 11 Jahre dauern bis 2014 Wasteland 2 nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne auf den Markt kam. Mittlerweile gehören übrigens sowohl inXile als auch Bethesda zu Microsoft. Einer offiziellen Zusammenführung der beiden Serien steht also theoretisch nichts entgegen .
2013 schaffte es inXile zudem eine Vereinbarung mit Electronic Arts zu treffen, um das Original auf modernen Systemen lauffähig und wieder in die Läden zu bekommen. Es war zuvor buchstäblich jahrzehntelang nicht legal zu bekommen. Unter dem völlig bescheuerten Namen Wasteland 1 – The Original Classic kann also jeder diesen Apple-II-Klassiker mittlerweile wieder in seiner “vollen” Pracht erleben. Aber nur, weil es geht, will man heutzutage wirklich so ein archaisches Werk spielen? Für mich war die Antwort relativ zügig nach dem reinschauen (habe es als Backer kostenlos bekommen): Ungern. Wie gut, dass anlässlich des 30. Geburtstag des Originals im Jahre 2018 ein Remaster angekündigt wurde. Und genau diesen habe ich mir im Steam-Sale gegönnt und über Weihnachten erfolgreich durchgespielt:
Wasteland Remastered (2020; PC, XONE, LNX, Mac) – Nehmen wir das Wichtigste gleich vorweg: Es ist exakt Wasteland von 1988. Es wurde nur optisch etwas aufgehübscht (Typus Low-Budget-Game von 2016) und der ein oder andere Bug gefixt (bspw. funktionierte ein Skill im Original nicht). Nicht einmal die vollständig auf Tastatur ausgelegte Steuerung wurde angepasst. Das ist gut für Fans des Originals, die aber scheinbar trotzdem das eine oder andere zu meckern haben. Für Neueinsteiger ist hingegen die Barriere weiterhin hoch. Nach dem kurzen Introfilmchen werdet ihr direkt ins Spiel geworfen. Kein Tutorial, kein Händchenhalten. Einfach nur eine vorfertigte Truppe aus vier Rangern im Hauptquartier irgendwo in Nevada mit dem vagen Ziel drei Orte in der näheren Umgebung zu besuchen und nach dem Rechten zu sehen. Und nein: Es gibt nicht einmal eine Übersichtskarte. Grobe Richtungsangaben sind alles, was ihr habt, um euch in der isometrischen Ansicht hin zu eurem Ziel zu bewegen. Zum Glück steht das Handbuch zum Download bereit, um zumindest etwas Licht ins Dunkeln zu bringen.
Die Anfänge
Es ist das Jahr 2087 und ein Jahrhundert nachdem ein nuklearer Krieg den größten Teil der Erde in eine radioaktive Hölle verwandelt hat, gibt es die Desert Rangers. Das sind selbsternannte Gesetzeshüter im amerikanischen Südwesten, die nach dem Rechten sehen und bereitstehen, um zu helfen – oder auch nicht. Wir sind hier schließlich in einem waschechten Rollenspiel aus den 80igern. Wenn ihr alles und jeden über den Haufen ballern wollt, könnt ihr das selbstverständlich tun und trotzdem theoretisch noch das Spiel erfolgreich beenden. Insgesamt sieben Personen kann eure Truppe umfassen, vier davon dürft ihr selbst mit ihren zufällig ausgewürfelten Attributen und von euch ausgewählten Fähigkeiten generieren (oder eben die vorgefertigten nehmen). Die drei weiteren Plätze werden von NPCs belegt, denen ihr im Laufe des Spiels begegnet und die ihr anheuern könnt. Diesen gebt ihr zwar theoretisch Befehle, sie können sie aber verweigern. Wenn ihr z.B. versucht eine Rüstung von einem NPC an einen eurer Leute weiterzugeben, sagt er mitunter auch mal “Nein”. Hat technisch gesehen keine Auswirkungen, da ihr es einfach nochmal versuchen könnt. Ist aber ein netter Touch. In den Kämpfen ist die Autonomie jedoch mitunter nervig. Die KI verballert nämlich gerne mal ganze Magazine obwohl ein Schuss ebenfalls gereicht hätte.
Für eure Attribute und Fähigkeiten erhaltet ihr bei jedem Levelaufstieg ein paar Punkte. Funkt ihr zurück ans Hauptquartier, dürft ihr diese in eure Attribute investieren. Für die Fähigkeiten müsst ihr hingegen eine Bibliothek finden. Und auch nur dort könnt ihr komplett neue Sachen lernen. So zum Beispiel wie man einen Helikopter fliegt oder mit Laserwaffen umgeht. Nicht alles ist sinnvoll aber für vieles gibt es Einsatzmöglichkeiten im Rahmen von individuellen Lösungsmöglichkeiten. Schließlich gibt es viele Varianten eine Tür zu öffnen. Eine Fähigkeit in der Bibliothek zu verbessern wird allerdings sehr schnell, sehr teuer was die Anzahl der notwendigen Punkte angeht. Zum Glück könnt ihr die Sachen auch einfach einsetzen. Trifft euer Charakter am Anfang selbst mit einer Pistole kein Scheunentor, wird er mit jedem Kampf ein bisschen besser und kann zu einem wahren Experten in der jeweiligen Kategorie werden. Und ja: Wie es sich für ein Rollenspiel der alten Schule gehört, gibt es zahlreiche Möglichkeiten dieses Feature zu missbrauchen. Das Maximallevel, das euere Charaktere erreichen können, heißt nicht umsonst “Supreme Jerk” .
Ich gebe allerdings offen zu, dass ich den Titel ebenfalls sowohl mit Komplettlösung als auch einem solchen Exploit gespielt habe. Meine Zeit ist mir dann doch zu kostbar, um stundenlang völlig obskure Lösungswege zu entschlüsseln. Darunter Sachen wie “Benutze an genau dieser Stelle folgenden Skill” oder “Gib‘ in einem Freitextfeld den richtigen Begriff ein”. Und selbst dann hat mein Rechner nach meinen 17 Spielstunden bis zur Endsequenz nochmal rund 12 Stunden damit verbracht mittels Makro das letzte Achievement (erreiche Rang 130) zu farmen. Ich muss jedoch einschränken, dass ein höheres Level nicht automatisch das Spiel tatsächlich einfacher macht. Es gibt bis zum Ende Feinde, die euch in wenigen Runden zerlegen können.
Das Spiel
Wasteland ist grundsätzlich ein runden- und feldbasiertes Rollenspiel. Solange ihr euch jedoch nicht in einem Kampf befindet, könnt ihr euch in der Welt in Echtzeit bewegen. Es gibt sogar einen Tag- und Nachtwechsel, der einen kleinen Einfluss auf das Spiel hat. Hauptsächlich wie häufig ein Zufallskampf stattfindet. Ja, es ist so ein Rollenspiel. Bei jedem Schritt rollt im Hintergrund ein Würfel und mit der Ausnahme von ein paar wenigen Bereichen, könnt ihr jederzeit angegriffen werden – auch dann, wenn ihr ein Zelt aufschlagt, um eure Truppe zu heilen. Nicht einmal in einer Bar seid ihr davor sicher.
Gut, dass es allerlei Hilfsmittel gibt mit denen ihr euch zur Wehr setzen könnt. Von Nahkampfwaffen wie Stöcken oder Kettensägen über Fernkampfwaffen wie Pistolen, Maschinengewehre oder Raketenwerfer ist alles dabei, was ihr zum Überleben braucht. Mit der Munition dafür kann es da schon anders aussehen. Ja, ihr müsst nicht nur Magazine mit euch rumtragen – je nach Waffe braucht ihr ggf. sogar ein anderes. Eine 9mm Pistole schießt eben andere Kugeln als eine AK-97. Und jedes Magazin verbraucht einen Slot in eurem extrem begrenzten Inventar (glaub 15 Plätze). Einfach alles mitgehen lassen und bei einem der wenigen Händler verticken? Ohne zigmal hin und her zu laufen nicht möglich. Mal abgesehen davon, dass ihr nie wisst, ob ihr den obskuren Gegenstand nicht doch noch braucht. Denn es gilt: Einmal weg, für immer weg. Ja, das gilt auch für Sachen, die ihr zum Beenden des Spiels zwingend benötigt. Sicherheitsabfragen sind etwas für n00bs!
Sicarius 4,2,2 (Sicarius greift Gegnergruppe 2 mit einem Burst-Schuss an)
In den zahlreichen Kämpfen (Diplomatie wird in der Postapokalypse leider nicht sehr groß geschrieben) wählt ihr für jeden eurer Frauen und Männer eine Aktion wie z.B. per Skill einen Kameraden heilen oder das komplette Magazin auf eine Gruppe von Feinden abschießen. Anschließend wird vom Spiel das Ergebnis berechnet. Das besondere dabei ist, dass tatsächlich alle Befehle gleichzeitig ausgeführt werden. Initiative oder so gibt es nicht. Nur euer Schnelligkeits-Attribut beeinflusst wer ggf. etwas zügiger abdrückt. Die Folge ist, dass ihr auch noch Schaden nehmen könnt, wenn der Gegner eigentlich gemäß Kampflog schon tot ist.
Die wenigen Dialoge mit NPCs finden hingegen wie oben geschrieben größtenteils mit Hilfe von Freitextfeldern statt. Wenn ihr also nicht irgendwie herausgefunden habt, dass ihr den Jungen in Highpool nach “DOG” fragen müsst (Hinweis darauf ist an einer Wand im Shop zu finden), habt ihr Pech gehabt und die dazugehörige Quest bleibt euch verwehrt. Auch in der Umgebung gibt es hin und wieder Hinweise wie Gekritzel auf einem Tisch oder ein Textkommentar im Log, die man überhaupt nicht als relevant interpretieren würde. Ich betone erneut: Es sieht zwar moderner aus, aber unter der Haube ist immer noch ein Spiel von 1988 – mit allen Vor- und Nachteilen. Dazu gehört ebenfalls, dass es technisch gesehen gar nicht so viel zu tun gibt abseits der Hauptgeschichte. Es gibt insgesamt nur wenige Quests und davon sind die wenigsten optional. Aber das ist “by Design”, denn es geht eben um möglichst große spielerische Freiheit. Die Quests sind nur als Orientierung gedacht. Wie ihr diese erfüllt und es weitergeht müsst ihr immer selbst herausfinden.
Beim Christoph meint: Von mir gibt es für Wasteland Remastered grad so . Den dritten Sic gibt es quasi als “es ist halt ein uralter Titel”-Bonus. Schließlich kann ich dem Spiel ja nicht als Vorwurf machen, dass es von 1988 ist . Genau das macht es aber sehr schwer, den Titel uneingeschränkt zu empfehlen. Ich fand es ganz nett mal den Urvater gespielt und selbst erfahren zu haben, wo alles angefangen hat. Das Non-Plus-Ultra-RPG ist es heutzutage aber logischerweise nicht mehr. Insofern: Abseits dieses historischen Interesses und vielleicht etwas Nostalgie, weil man damals das Original gezockt hat gibt es aus meiner Sicht keinen Grund das Werk zu spielen. Wasteland 2 setzt zwar auf den Ereignissen aus Teil 1 auf aber die Geschichte ist so dünn und für heutige Verhältnisse alles andere als spannend erzählt, da reicht der Rückblick im zweiten Teil aus. Wer also Wasteland aber in modern erwartet, wird hier enttäuscht.
Gleichzeitig finde ich es aber genau super, dass die Entwickler inhaltlich dem Original komplett treu geblieben sind und ich Wasteland Remastered so nutzen konnte, um diese Wissenslücke zu schließen statt eine Reinterpretation des Klassikers serviert zu bekommen. Aller Unkenrufe der Veteranen zum Trotz war es nämlich äußerst angenehm nicht mit 16 Farben und Pieps-Sounds durch Nevada laufen zu müssen. Die (gezeichneten) Zwischensequenzen und Vertonung der wichtigsten Sachen sind super und obwohl die Grafik definitiv kein 2020er Niveau hat: Sie ist okay und macht das Spielerlebnis genauso wie der neu eingespielte Soundtrack um Längen besser. Und an die Tastaturbefehle gewöhnt man sich zügig.