Sicarius

Ein Wasserfall auf dem Sofa

Sagen wir wie es ist: Ich war in meiner Kindheit eine absolute Heulsuse. „Zu nah am Wasser gebaut”? Eher an einem ganzen Wasserplaneten. Ich hab‘ sogar in der Grundschule mal geweint, weil mein Banknachbar (!) eine schlechte Note bekommen hat… Leider muss man sagen, dass unsere Gesellschaft damit überhaupt nicht umgehen kann – vor allem bei männlichen Vertretern. Es wird einem sofort als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Zum Weinen entsprechend in den Schrank einsperren. Bloß niemanden sehen oder wissen lassen, dass man traurig ist.

Ich werde mich dahingehend bis ans Ende meines Lebens an meinen Grundschullehrer erinnern, der Sprüche abließ wie „Heul dich ruhig aus, dann musst du wenigstens weniger aufs Klo”. Was für ein Arschloch. Wie förderlich es ist für seine eigene Seele Gefühle einfach zu unterdrücken, brauchen wir denke ich nicht weiter zu erörtern. Mir persönlich haben speziell meine „lieben” Klassenkameraden das Weinen ausgetrieben. Was ich von denen alles ertragen musste deswegen geht auf keine Kuhhaut. Spätestens ab der 7. Klasse war es entsprechend damit vorbei. Keine Träne mehr in der Öffentlichkeit. Stattdessen versuchte ich nach außen hin zu einer gefühllosen Mauer zu werden während im Inneren weiterhin alles in sich zusammenbrach.

25 Jahre später sind zumindest in der Casa Lysanda meine Tränen kein Problem mehr. Das ist auch gut so, denn es fehlt immer noch mitunter nicht viel, um meine Kanäle zu fluten :smile: . Lasst ein paar Geigen traurig vor sich hin weinen, packt noch ein paar emotionale Bilder dazu und schon wird’s feucht. Aber so heftig wie am Samstagabend hatte mich bislang noch kein Unterhaltungsmedium erwischt. Ich war echt fix und alle am Ende der letzten Folge.

(Cover)

The Big C* (2010-2013, 38 Episoden [4 Staffeln], DV) – Cathy Jamison, verkörpert von Laura Linney, hat Krebs. Und zwar die Art von Krebs, die nur schwer bis gar nicht zu heilen ist und an der man relativ zügig wegstirbt. Statt sich davon jedoch großartig beeindrucken zu lassen oder gar eine Chemo-Therapie zu beginnen, fängt Cathy stattdessen an ihr Leben umzukrempeln. Quasi ihre letzten Wochen und Monate richtig auszuleben und alles das zu tun, was sie bislang als typische, langweilige amerikanische Mutter bislang nicht gemacht hat. Blöd nur, dass sie ihre Familie nicht über den Grund aufklärt, der zu ihrer starken charakterlichen Veränderung und dem dadurch entstehenden Chaos führt. Wenig verwunderlich, dass das zu einer Verschlechterung im Verhältnis zu ihrem Sohn Adam und ihrem Mann Paul führt.

Irgendwann kommt dann natürlich doch raus, was los ist und die Geschichte konzentriert sich anschließend darauf, wie die Familie und vor allem Cathy damit umgeht mit den dazugehörigen Höhen und Tiefen. Nebenbei gibt es noch ein paar Nebengeschichten um ihren Bruder Sean, ihrer Schülerin Andrea (die bald bei ihnen einzieht) sowie das normale Teenager-dasein ihres Sohnes. Ach und auch Paul macht einiges durch, was ich an dieser Stelle aber natürlich nicht verraten werde. Zusammengefasst ist speziell in den ersten drei Staffeln extrem viel los. Gefühlt in jeder Folge geht irgendwas in die Hose, passiert irgendetwas überraschendes oder Cathy hat ein neues Gehirngespinst mit dem sich alle rumschlagen müssen. Da jede Folge nur ~25 Minuten hat, ist das Tempo sehr hoch – fast schon zu hoch, weshalb die Glaubwürdigkeit etwas leidet. Nur die letzte Staffel (vier Folgen) mit dem Untertitel „Hereafter” gönnt sich jeweils 60 Minuten, um die Geschichte zu einem würdigen Abschluss zu bringen.

38 Folgen Kummer?

Trotz des heftigen Themas, schafft die Serie es eine sehr gute Balance aus Humor und Dramatik zu halten. Keine Frage, es passiert viel Schlimmes – sehr viel sogar, was die Familie und ihre Freunde durchmachen müssen. Es wird nichts beschönigt und die harte Realität dargestellt. Nicht nur in Bezug was eine Krebsdiagnose für einen Menschen, seine Familie und seine Freunde bedeuten kann, sondern auch andere Krankheiten oder sich plötzlich ändernde Lebensumstände. Das halte ich der Serie extrem zugute. Viel zu oft wird in den Medien beispielsweise ein Krebskranker bloß zu einem armen, traurigen Opfer degradiert und ihm damit seine Menschlichkeit genommen. Das passiert hier explizit nicht. Auch deshalb, weil die Autoren eben nicht alles nur als schwarz darstellen. Es gibt wie im realen Leben neben den schlechten ebenso einige heitere Momente, die sogar mal für einen Lacher sorgen – selbst in der letzten Staffel.

Drehen sich die ersten drei Staffeln vor allem um den Umgang mit der Krankheit, geht es in Staffel 4 faktisch nur noch um das Vorbereiten auf den Tod. Cathy ist am Ende ihrer Reise und es gibt kein Zurück mehr. Stattdessen heißt es die letzten Momente in Würde genießen, noch zu erledigen, was es vielleicht zu erledigen gibt und dann dem Leben seinen Lauf zu lassen. Das ist extrem heftig mit anzusehen, aber immerhin bekommt Cathys Weg einen gebührenden Abschluss. Da hätte so viel in die Hose gehen können. Aber nein, die Autoren haben alles richtig gemacht und einem großartigen Charakter einen würdigen Abschied gegeben.

Beim Christoph meint: Von mir gibt es 5 von 5 Sics. Die Serie ist eine Wucht – in positivem Sinne und das Finale (und die komplette letzte Staffel) wird mir noch lange nicht aus dem Kopf gehen. Mir kommen jetzt schon wieder die Tränen, wenn ich nur dran denke. Da haben die Macher wohl einen extrem wunden Punkt bei mir getroffen. Vermutlich auch deshalb, weil ich mit meiner Oma diese Reise – allerdings mit wesentlich weniger Chaos – vor vielen Jahren bereits selbst miterlebt habe (Krebsdiagnose, viele Monate Therapie, Hospiz, Tod).

Aber selbst ohne meine persönliche Erfahrung: Cathys Geschichte ist wirklich sehr gut und extrem mitreißend erzählt. Auch dank der vielen Charaktere, denen sie begegnet und mit denen man ebenfalls mitfühlen kann. Natürlich ist das ein oder andere völlig überzogen dargestellt. Wie gesagt tritt die Familie irgendwie ständig in jedes Fettnäpfchen, das sich bietet und vergrößert so das Chaos und den Tumult. Unterm Strich tut es der Serie aber keinen Abbruch. Sie bleibt durchweg glaubwürdig und realistisch und zeigt einen Haufen Menschen, die schlicht und einfach überfordert sind – wie wir vermutlich alle in so einer Situation. Unbedingt anschauen!

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