Sicarius

Eine reale Simulation

Hattet ihr auch schon einmal das Gefühl, dass die Welt um euch herum nicht echt ist? Dass ihr nur Teil eines Spiels oder anderer Art von virtueller Umgebung seid? Teil der Matrix, wie es vor allem in Verschwörungskreisen so schön heißt – zumindest seit 1999 der gleichnamige Film die Welt eroberte? Euer Tun und Denken von einer fremden Macht gesteuert wird (wahlweise Gott oder Bill Gates)? Ja? Dann seid ihr damit definitiv nicht allein.

Schon seit der Antike gibt es Theorien zum sogenannten Makrokosmos. Fast alle Religionen fußen auf dem Gedanken, dass es “da oben” ein oder mehrere Wesen gibt, die unser Leben beeinflussen. Und entsprechend ist das Thema auch in der Unterhaltungsbranche schon immer präsent. In der Gutenberg-Datenbank findet ihr beispielsweise Stanley G. Weinbaums Pygmalions Brille von 1935. Die Kurzgeschichte ist eine der ersten, die sich mit dem Thema “Virtuelle Realität” beschäftigte.

Heute möchte ich euch dahingehend ein Werk von Daniel Francis Galouyes vorstellen. Obwohl die Wachowskis es übrigens nie explizit als Inspiration für ihren Mehrteiler genannt haben, gibt es doch verdächtig viele Parallelen. Damit meine ich nicht das offensichtliche (eine Welt in einer Welt und die dort lebenden Personen wissen von Nichts), sondern vor allem Kleinigkeiten wie z.B. Telefone in der virtuellen Realität, die für den Übergang einer Person aus der realen Welt dienen.

(Cover)

Simulacron-3/Welt am Draht* (1964, 233 Seiten) – In einer nicht näher datierten Zukunft wird die Welt gefühlt hauptsächlich von Marktforschern bevölkert. Sie können euch zu jeder Tages- und Nachtzeit und zu jedem Thema befragen und ihr seid gesetzlich gezwungen mitzumachen. Verweigert ihr die Teilnahme an der Umfrage, gibt es eine Geldstrafe. Keine schöne Vorstellung aber es scheint notwendig, damit die Welt funktioniert oder so und alle haben sich damit abgefunden. Okay, nein natürlich nicht. Bei der TEAG (“Test AG”) haben sie unter der Leitung des Forschers Hannon Fuller einen Simulator gebaut – der namensgebende Simulacron-3. In ihm wurde eine virtuelle Stadt erschaffen, bevölkert von mehreren tausend Charakteren, die der echten Welt zum verwechseln ähnlich sieht. Muss sie ja, schließlich möchte man Daten sammeln, um darauf basierend Entscheidungen in der Realität zu treffen. Eine Ablösung für die Marktforscher quasi, die das nicht so dufte finden. Entsprechend setzen sie alles daran die offizielle Inbetriebnahme zu stoppen.

Die Wissenschaftler können die Geschehnisse in der Welt dabei nicht nur an ihren Bildschirm und über Auswertungen verfolgen, sondern auch selbst darin eintauchen. Dies kann auf verschiedene Arten passieren. Die einfachste ist als Zuschauer in einen Körper zu schlüpfen (=man sieht aus den Augen der Person). Die nächste Stufe ist eine empathische Verbindung aufzunehmen (=ihr spürt Gedanken, Gefühle, etc.). Und die radikalste Variante ist es vollständig als Charakter in die Welt einzutauchen (=die Telefonsituation).

Während Fuller ganz der Forscher ist und den Simulator zur Besserung der Menschheit verwenden möchte, hat der Chef der TEAG eher wirtschaftliche Interessen und möchte das Gerät zum Geldscheffeln und Machtausbau ausbeuten. Entsprechend haben sich die beiden in den Haaren bis eines Tages Fuller plötzlich durch einen Unfall stirbt. Die Geschichte beginnt auf der Party anlässlich der Ernennung seines Nachfolgers, Douglas Hall. Dieser trauert um seinen Kollegen und amüsiert sich eher wenig bis plötzlich der Sicherheitschef von TEAG, Morton Lynch, reinstürmt und unbedingt mit ihm reden möchte. Er faselt etwas davon, dass Fuller ermordet wurde, weil er hinter ein großes Geheimnis gekommen ist. Bevor Lynch jedoch Douglas genaueres erzählen kann, verschwindet dieser einfach – und niemand außer Douglas kann sich plötzlich mehr an ihn erinnern. Es ist der Beginn von Halls Reise hinter den Spiegel. Immer mehr Dinge fallen ihm auf, die irgendwie nicht zusammenpassen. Er fängt an die Realität in Frage zu stellen und zu vermuten, dass er selbst Teil eines Simulators ist. Und – es ist nicht wirklich ein Spoiler – natürlich hat er recht. Außerdem bekommt er plötzlich häufiger Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. Was sich dahinter verbirgt verrate ich aber nicht :smile: .

Beim Christoph meint: Von mir gibt es 3 von 5 Sics. Ich wollte ursprünglich vier Sics geben aber im letzten Drittel fällt die Qualität massiv ab. Gefühlt wollte der Autor unbedingt die Sache noch dramatischer werden lassen. Im Ergebnis leidet die Erzählung hingegen am plötzlichen Anstieg von abstrusen Szenarien statt einfach zügig zum Ende zu kommen. Unabhängig davon lässt sich die erste Hälfte des Buches unter dem Begriff “Was ist real?” zusammenfassen, während die zweite unter der Überschrift “Was macht das Wissen nicht real zu sein mit einem?” steht.

Als Leser erlebt man Halls stetigen Abstieg in die absolute Paranoia, die darauffolgende verzweifelte Erkenntnis , dass er Recht hatte und abschließend die Hoffnungslosigkeit, dass das Leben offensichtlich keinen Sinn hat. Bis zu besagtem letztem Drittel eine spannende Erzählung. Und zwar auch dann, wenn man den Twist bereits kennt. Das Interessantere ist zu erfahren wie er es herausfindet und damit umgeht. Und in der heutigen Zeit, in der selbst normale Leute mit Begriffen wie “Sheeple” und “Aufwachen” um sich werfen, ist der Roman vermutlich aktueller denn je – nur vermutlich aus den falschem Gründen.

Der Fernsehfilm

Simulacron-3 wurde seit seiner Veröffentlichung bereits zweimal verfilmt. Von Josef Rusnak kam 1999 (ein paar Monate nach The Matrix – schlechtes Timing) The Thirteenth Floor* in die Kinos. Er soll wohl nicht wirklich gut sein und zudem stark von der Vorlage abweichen. Habe ihn aber noch nicht selbst gesehen. Dafür aber die deutsche Verfilmung:

(Cover)

Welt am Draht* (1973, zweiteiliger Fernsehfilm, DV) – Das Multitalent Rainer Werner Fassbinder (Regisseur, Schauspieler, Drehbuchautor, Komponist, etc.) steckt hinter diesem Machwerk und es hat lange gedauert, bevor es wieder zugänglich wurde. Erst 2010 gab es eine Restaurierung und eine damit einhergehende Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray. Davor kam er nur sehr, sehr selten mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Grundsätzlich ist die Geschichte sehr nah an der Vorlage und folgt dieser weite Strecken sogar dialog-genau. Zwar wurden die Namen eingedeutscht – so heißt Douglas Hall z.B. im Film Fred Stiller und Hannon Fuller ist jetzt Henry Vollmer. Aber Leser finden sich sofort zu recht. Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto größer werden allerdings die Abweichungen. Die ganze Sache mit den Meinungsforschern kommt zum Beispiel nur am Rande vor, entsprechend fehlen einige Nebenschauplätze aus dem Buch. Außerdem ist die Welt “normaler”. SciFi-Elemente wie Laserwaffen oder fliegende Auto gibt es nicht – dafür aber ein Tastentelefon, welches erst drei Jahre später auf den deutschen Markt kam. Die größte Änderung dürfte aber der Weg zum Finale sein, den wie oben erwähnt der Autor (aus meiner Sicht) unnötig in die Länge gezogen hat. Fassbinder hingegen hat den ganzen Kram einfach rausgelassen. Und das tut dem Film definitiv sehr gut, denn die Geschichte ist nicht sonderlich action-geladen und für heutige Aufmerksamkeitsspannen eher langatmig erzählt. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren war entsprechend die richtige Entscheidung.

Beim Christoph meint: Von mir gibt es 4 von 5 Sics. Ich habe tatsächlich zuerst den Zweiteiler gesehen und mir dann aus Interesse das Buch geholt. Nachdem ich nun beides erfahren habe, kann ich festhalten: Ich finde Fassbinders Interpretation besser als das Original. Zwar leidet der ein oder andere Erzählstrang darunter, dass die Detailtiefe fehlt (Stichwort Meinungsforscher und das dazugehörige Finale vor dem Sitz der Firma). Aber unterm Strich profitiert die Geschichte sehr davon, dass das ganze “Fett” weggeschnitten wurde (vor allem das erwähnte letzte Drittel des Buches) und stattdessen ganz und gar Halls bzw. Stillers Reise im Mittelpunkt steht.

Ich finde auch genial, wie Fassbinder und sein Team den Film in Szene gesetzt haben. Trotzdem, dass die offensichtlichen SciFi-Elemente der Vorlage fehlen, wirkt das Werk von Anfang an befremdlich und komisch. Passt logischerweise perfekt zum Thema und lässt auch den Zuschauer sich fragen ob das jetzt real ist oder nicht. Das liegt jedoch weniger am Setdesign, welches zwar hier und da etwas abgefahren ist aber insgesamt doch größtenteils zu den 60iger/70iger Jahre passt. Stattdessen ist es eher die schauspielerische Leistung (im positiven Sinn), die teils befremdlich wirkt sowie die Kameraeinstellungen. Lysanda und ich hatten sogar zuerst die Vermutung, dass Stiller in einer Welt voller Roboter lebt, so unwirklich und apathisch kommt die Beförderungsfeier daher. Sehr coole Sache und definitiv ein Film, den ich Cyberpunk-Fans ans Herz legen kann. Erwartet nur wie gesagt keine beeindruckende Kung-Fu-Schlacht. Es ist ein Charakterfilm, kein Actionstreifen.

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