Sicarius

Faule Jugend!

Jules verdingt sich als Steineverkäufer

Schon wieder der 1. Mai. Der Tag der Arbeit, der paradoxerweise ein Feiertag ist. Passend dazu haben die Medien mal wieder ein paar Vertreter von Arbeitsgeberverbänden ans Mikrofon gelassen, die ich nicht namentlich erwähnen werde. Was da im Moment dabei rumkommt, könnt ihr euch denken. “Kein Bock auf Arbeit!” war beispielsweise wieder so ein Zitat, das bei mir immer die Hutschnur hochgehen lässt. Fachkräftemangel, Leerstellen und Co. liegen schließlich nicht daran, dass die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Schließlich gibt es doch sogar einen Obstkorb und eine Wasserflatrate! Nein, es liegt ganz klar daran, dass die heutige Generation von Arbeitsnehmern verzogene Rotzgören sind, die keine Lust auf das Arbeiten haben! Stattdessen bestehen sie auf ihre bekloppte Work-Life-Balance und wollen so neumodischen Kram wie die Vier-Tage-Woche und Home Office! Wie unsozial!

Würden sie einfach NOCH mehr Arbeiten, dann wären wir schon lange über den Berg und unser (=Geschäftsführer) Wohlstand gesichert. Rentenalter erhöhen, Wochenarbeitszeit erhöhen, flexiblere Arbeitszeiten (=ich kann meinen Mitarbeiter Sonntagnacht um 3 Uhr anrufen und zur Sau machen), flexiblere Beschäftigung (=jeden Moment ohne Begründung rausschmeißen) – DAS sind die Lösungen, die uns voranbringen. Mittlerweile gerne auch vermischt mit dem Hinweis auf das Klima. Hat zwar rein gar nichts mit dem Thema nicht zu tun, aber es ist wie mit dem Argument “Denkt denn keiner an die Kinder?!”. Da kann man ja nur verlieren.

Ein kollektiver Knall

Ich Chef, du nix!

Der Hintergedanke ist – neben der Gewinnmaximierung – immer, dass ja alle nur faul auf der Couch sitzen und sich berieseln lassen würden, wenn sie könnten. Ein Bild, das leider auch von den Medien befeuert wird. Ja, es mag die Ausnahmen geben, die tatsächlich einfach nur den Sozialstaat “abschröpfen”, um sich den ganzen Tag zu besaufen (und selbst da steckt immer eine Geschichte dahinter). Andererseits: Wofür haben wir dann überhaupt einen Sozialstaat? Aber das ist eine andere Diskussion. Fakt ist: Die meisten Menschen wollen etwas tun. Sie schämen sich arbeitslos zu sein. Schämen sich, wenn sie krank sind und gehen deswegen mitunter die Kollegen anstecken bzw. völlig über ihre körperlichen Grenzen. Und machen sich einen (ungesunden) Haufen Stress, weil ihnen etwas an ihrer Arbeit liegt, egal ob es die Kloputzfrau auf der Autobahnraststätte oder der CEO im Weltkonzern ist. Das beste Beispiel ist die Einführung von Home Office während Corona. Einige Manager behaupten zwar etwas anders, aber ein Abfallen der Produktivität im Home Office fand nicht statt.

Im Gegenteil arbeiten die Leute noch mehr als im Büro, weil sie kein Ende finden. Selbst der Erholungsurlaub ist gefühlt bei vielen mittlerweile nur noch ein Ärgernis statt ein Grund zur Freude. Man ist zwar nicht im Dienst, arbeitet aber trotzdem (illegal) weiter für die Firma. Warum? Keine Ahnung. Falsches Loyalitätsverständnis oder so. Man will ja die Kollegen nicht im Stich lassen. Lohnt es sich? Selten. Anerkennung gibt es dafür meist nur in Form von “Gut gemacht, hier ist noch mehr Arbeit.”. Entsprechend schaden sie sich damit sogar eher. Warum schließlich noch jemanden einstellen? Die Ampel ist doch grün. Dass mein Mitarbeiter demnächst vielleicht einen Burnout haben wird ziehe ich gar nicht in Betracht. Stattdessen glaube ich, dass er einfach Spaß an seiner Arbeit hat.

“Wir haben zwar während Corona gut gearbeitet, aber nicht die Firma weiterentwickelt!” war übrigens eine Aussage, die in unserem Unternehmen gefallen ist und mit der die Rückkehr ins Büro begründet werden sollte. Gleichzeitig aber den Anlegern Rekordgewinne präsentieren und die eigene Gehaltserhöhung abnicken lassen. Dass sich unter diesen Umständen ein Arbeitnehmer nicht ernst genommen fühlt, dürfte klar sein.

Spaß bringt kein Essen auf den Tisch

“Du musst doch nur Spaß an der Arbeit haben, dann ist die Arbeitszeit doch egal” ist sowieso so ein blödes Totschlagargument. Besonders schlimm, wenn es auch noch von Kollegen kommt. Das muss nicht einmal ein Speichellecker sein, der auf dem Schoß des Chefs sitzt. Uns wurde doch ein Leben lang eingetrichtert, dass Arbeit Spaß machen muss. Wenn es das nicht tut, dann liegt das offensichtlich an einem selbst. Dabei ist das ein Märchen und die Realität eine ganz andere: Ich tausche meine Zeit und meine Fähigkeiten gegen das Geld, das mir mein Leben finanziert. Die dazu notwendige Tätigkeit kann durchaus mal langweilig und öde sein. Sie muss nicht immer aufregend und interessant sein. Wenn ich gleichzeitig glücklich bin und gerne auf die Arbeit gehe ist das natürlich super. Es ist aber nicht der Zweck der Arbeit. Es wird nur versucht uns das so zu verkaufen, damit wir uns besser ausbeuten lassen.

Lyssi sorgt dafür, dass Lysanda ihre Arbeitspausen einhält!

Und ja, das gilt genauso für Selbstständige. Ich habe keinerlei Respekt für jemanden, der prahlt “Ich arbeite 80 Stunden in der Woche!”. “Selbst” und “ständig” ist nur eine andere Form der Ausbeutung (nämlich Selbstausbeutung). Wieso sollte man da stolz drauf sein? Viel eher würde ich die Selbstorganisation in Frage stellen. Denn was will ich mit einem Gewerbe, in dem ich mehr arbeiten muss als in einer Anstellung? Und bevor jetzt jemand “Geld” ins Spiel bringt: Was bringt es mir mit 40 Jahren in meiner goldenen Villa einen Herzinfarkt zu bekommen? Nichts. Also lasst euch nichts einreden: “Dienst nach Vorschrift” ist keine negative Sache, sondern zeugt von einer guten Disziplin und einem Verständnis dafür, was für einen selbst gut und wichtig ist. Die Menge an Motivation muss reichen, um seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen – mehr nicht.

Mein Leben

Wie schaut die Sache bei mir aus? Nun, fast 22 Jahre lang arbeite ich bereits in einem großen Konzern. Und ja, trotz aller Widrigkeiten (komische Prozesse, Personalmangel, Zeitdruck) mag ich meine Arbeit immer noch. Würde ich weiter hingehen, wenn ich morgen 10 Millionen Euro im Lotto gewinnen würde? Nein. Und mittlerweile bin ich auch definitiv etwas ruhiger geworden als noch am Anfang. Urlaub war zwar schon immer Urlaub aber meine Gedanken kreisten früher doch noch mehr um die Arbeit und ich habe mich mehr darüber definiert, was ich geleistet habe und was die Kollegen von mir dachten.

Mittlerweile weiß ich – auch dank Lysanda -, dass das alles ziemlicher Blödsinn ist. Ich bin nur ein Zahnrad im Getriebe. Wenn ich mal nicht da bin, läuft der Laden trotzdem irgendwie weiter. Aber, wenn ich da bin möchte ich auch etwas tun und das soll natürlich gut sein. Wer will schon Sachen machen, die nicht gut werden? Von “Kein Bock auf Arbeit” kann also gar nicht die Rede sein. Nur das mit der Ausbeutung durch den Arbeitgeber lassen wir mal lieber.

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