Man darf einfach keine Nachrichten mehr konsumiere. Es schadet leider nur der Gesundheit. Überall Themen, über die man sich aufregen und die (noch verbliebenen) Haare ausreißen könnte. Ich weiß, das liegt auch daran, dass genau diese Art von Schlagzeilen in der heutigen Zeit von den Medien fokussiert werden. Noch so eine traurige Sache, über die man sich herzlich aufregen könnte. Da Lysanda jedoch weiterhin das Thema “Arbeitsstress” am Herzen liegt, stach uns freilich vor allem die ganze “Home Office”-Diskussion ins Auge, die derzeit wieder sehr präsent zu sein scheint.
In der Frankfurter Allgemeinen hat beispielsweise ein Herr Mark Fehr eine echt fragwürdige Kolumne namens “Büromuffel, kommt zurück!” verfasst (die ich nicht verlinke). Die letzten Tage fand außerdem der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag statt – mit seinem Präsidenten Thomas de Maizière. Und der durfte deswegen ebenfalls mal wieder ans Mikrofon (z.B. bei ntv) und hat seinen Senf abgeladen. Schließlich will er ja Werbung für seine Sache machen (=kommt wieder in die Kirche!). Und Home Office scheint dafür aktuell die perfekte Plattform zu sein. Ja, er hat es tatsächlich geschafft “Kirche” mit “Gegen Home Office” zu verbinden. Dafür hat er definitiv ein bisschen Respekt verdient.
Dann gab es noch die “üblichen” Schlagzeilen von wegen “Firma A will die Mitarbeiter zurück im Büro haben”, die vor allem aus den USA kommen. Letzte Woche war beispielsweise mal wieder Alphabet im Gespräch. Gab und gibt also einiges, worüber man sich aufregen und die Gesellschaft weiter spalten kann.
Die Kolumne
Schauen wir uns doch mal den Text von Hr. Fehr ein wenig genauer an. Er hat nicht viel Inhalt, entsprechend muss ich beim Zitieren etwas vorsichtig sein. Ihr wisst schon: Leistungsschutzrecht. Umso imposanter ist es, wie er es selbst in so einem kurzen Text geschafft hat so viele fragwürdige Dinge zu schreiben.
Seine grundsätzliche These lautet “Home Office ist unfair”. Damit hat er technisch gesehen erst einmal recht. Alles was Gruppe A kann aber nicht Gruppe B ist per Definition unfair. Das beliebteste Argumente gegen Home Office ist deswegen “Berufsgruppe X kann kein Home Office machen”. Dabei ist das eine so dermaßen bescheuerte Aussage. Wir schicken Millionen von Arbeitnehmern also einfach nur aus Solidarität ins Büro? Wow. Können wir das bitte auch in anderen Bereichen einführen? Mein CEO verdient beispielsweise pro Stunde (!) dreimal so viel wie ich im Monat (!) aufs Konto bekomme. Ist das etwa nicht unfair? Ach und in Afrika verhungern die Kinder während wir tonnenweise Lebensmittel vom Acker über Umwege direkt in die Tonne schmeißen. Klingt irgendwie ebenfalls unsportlich und ist ein ähnlich gelagertes Totschlagargument für jedwede Diskussion. Ja, es gibt Berufe, die müssen nun einmal (noch) vor Ort erledigt werden. Das ist und war schon immer so. Ob wir nun im Büro sind oder im Home Office: So manch ein Monteur ist vor allem bei schlechtem Wetter sicherlich neidisch auf uns Sesselfurzer. Wird sich das jemals ändern? Solange es “Arbeit” gibt sicherlich nicht.
Die armen Kollegen
Zugegeben: Auf das Argument “unfair gegenüber anderen Berufsgruppen” greift Hr. Fehr tatsächlich nicht zurück. Nein, er versucht es auf die empathische Art und schreibt noch größeren “Pro-Büro”-Blödsinn. So müssten die Entscheider alleine im Büro die Stellung halten, neue Mitarbeiter würden nicht richtig ins Team integriert werden und gleichzeitig würden die Älteren nicht mehr von den frischen Ideen der Jüngeren profitieren. Meine Antwort darauf? Klingt nach einem Prozess- und/oder Kommunikationsproblem. Wenn unsere älteren Kollegen ein Problem haben, dann rufen sie an. Und wenn wir was Neues, interessantes für das Team haben, dann kommunizieren wir das per E-Mail, Telefon oder Chat an alle. Das finde ich sogar wesentlich sinnvoller im Vergleich, wenn es nur der eine Kollege erfährt, den man gerade unterstützt oder der mich mit der Kaffeetasse in der Hand an meinem Schreibtisch volllabert. Und neue Teammitglieder? Ja, es macht selbstverständlich Sinn diese ordentlich einzuarbeiten. Dabei kann es helfen, wenn man sich ab und an mal im Büro trifft – genauso, wie gerne hin und wieder mal ein Meeting/Workshop in Präsenz stattfinden darf. Das ist ja nicht ausgeschlossen. “Pro-Home-Office” heißt ja nicht, dass jeder 100% der Zeit Zuhause verbringen muss. Nicht alle haben schließlich wie gewisse Webmaster ihre Teamkollegin mit im gleichen Arbeitszimmer sitzen oder optimale Bedingungen Zuhause. Kaum jemand arbeitet gerne den ganzen Tag am Küchentisch. Da ist der Gang ins Büro dann die bessere Alternative.
Aber es ist halt absolut kein logisches Argument für eine vollständige Rückkehr zum Büro. Unsere Programmierer sind sogar über die ganze Welt verteilt. Die haben sich und werden sich teilweise nie sehen und trotzdem sind sie integriert und wir arbeiten trotz Sprachbarrieren (=jeder spricht kaputtes Englisch) gut zusammen. Weil es eben nicht an der physischen Präsenz hängt, sondern am Umgang miteinander. Und den habe ich auch per (Video-)Telefonkonferenz, E-Mail und dem ganzen Kram. Der angeblich so wichtige Plausch in der Teeküche wiegt es nicht auf, wenn es sonst nicht funktioniert.
Und wenn die Entscheider ins leere Büro gehen, dann ist das ihr Problem. Mein Vorgesetzter sitzt schon immer drei Stunden entfernt. Er war schon vor Corona unser Chef und wir haben ihn noch keine 10mal persönlich getroffen. Und siehe da: Es geht trotzdem. Normalerweise braucht man seinen Chef nicht auf dem Schoß. Er muss nur einfach greifbar sein, wenn man ihn braucht und einen in seiner Arbeit unterstützen. Wenn der Manager sich jedoch nutzlos fühlt und/oder kein Vertrauen hat, dann braucht er offensichtlich den Kontrollzwang, um das zu kompensieren. Aber ganz ehrlich: Haben diese Art von Manager wirklich noch einen Mehrwert?
Ist es unfair?
Noch ein gern gebrachtes Argument ist, dass die Geschäfte in der Nähe der Büros unter dem Home Office leiden. Das stimmt sicherlich. Am besten kommt gleich hinterher die Aussage “Die Innenstädte verwaisen”. Deswegen müssen wir Millionen Euro in die Bruchbude Galeria Karstadt Kaufhof stecken, die offensichtlich kein erfolgreiches Geschäftsmodell mehr vorzuweisen hat. Was allerdings unter den Tisch fällt: Nur, weil die Leute im Home Office sitzen, kocht sich nicht gleich jeder sein Mittagessen selbst. Sprich die Geschäfte in den Bürostädten mögen hier und da wegfallen. Dafür entstehen zum Ausgleich wieder näher an der Heimat neue. Und ist die Wiederbelebung des Dorfes nicht auch ein Ziel vieler Lokalpolitiker?
Und noch in einem weiteren Gesichtspunkt ist das Wort “unfair” bei der Debatte völliger Schwachsinn. Wie fair ist es denn gegenüber dem Kind, dass Mama und Papa mehrere Stunden am Tag pendeln? Oder mitunter sogar nur am Wochenende Zuhause sind? Ist es da nicht sogar besser für das Gemeinwohl, wenn die Leute mehr in den eigenen vier Wänden sind und für ihre Kinder da sind? Oder noch eine Stufe weiter hinausgezoomt: Vereine, Feuerwehren & Co. beklagen sich seit Jahren über Mitgliederschwund. Es kann mir keiner erzählen, dass das nicht auch mit der Pendelei zusammenhängt. Aber selbst wenn keine Familie da ist: Es ist nachgewiesen, dass Pendeln einen Haufen Stress verursacht. Im Home Office ist man also höchstwahrscheinlich gesünder. Und gesunde Menschen kosten (Thema Gemeinwohl) die Krankenkassen weniger. Herr Fehr erwähnt es sogar als positive Eigenschaft des Home Office in seiner Kolumne! Die ganze Umweltbelastung, die durch die Fahrerei verursacht wird, brauchen wir da noch gar nicht weiter zu vertiefen. Dabei geht Klima doch angeblich uns alle an. Und die vermiedenen Verkehrstoten, weniger Lärmbelästigung für Anwohner an Durchgangsstraßen, usw. Davon abgesehen sind die Wege für diejenigen, die trotzdem raus müssen durch den geringeren Verkehr stressfreier/kürzer. Aber nein, Home Office ist unfair – nichts anderes.
Der Präsident des DEKT
Unser lieber Herr de Maizière hat hingegen unter anderem von sich gegeben, dass wir Deutschen länger, mehr und besser arbeiten sollten, damit wir nicht wirtschaftlich abfallen. Wir sollten uns ein Vorbild nehmen an den asiatischen Ländern. Er denkt da bestimmt explizit an Japan. Ihr wisst schon, das einzige Land mit einem eigenen Begriff für “Tod durch Überarbeiten” (Karōshi). Mit “Gemeinwohl” ist in diesem Zusammenhang vermutlich das völlig überlastete Rentensystem gemeint, an dessen Reform sich kein Politiker rantraut (wegen den ganzen Rentnern).
Wie ich allerdings schon mehrfach erwähnt habe, ist die Realität eine völlig andere: Die Leute tendieren im Home Office sowieso schon dazu länger und mehr zu arbeiten. Sie müssen ja nicht Pendeln und sind entsprechend fitter. Und es ist einfach mal kurz noch abends in die E-Mails zu schauen. Die Produktivität ist während Corona entsprechend nicht gesunken in diesen Bereichen, sondern sogar gestiegen – und das trotz Personalmangel in allen Bereichen! Und was er mit “besser” arbeiten meint, habe ich keine Ahnung. Ich mach‘ den Job für den ich bezahlt werde. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein Teil der Wahrheit
Es ist vielleicht eine pessimistische Sicht auf die Welt, aber es hilft sich immer wieder zu fragen: “Was hat der davon?” Und die Antwort ist meist Geld und/oder Macht. Bei der Home Office-Diskussion geht es entsprechend auf der einen Seite darum, dass die Arbeitgeber aus ihrer Sicht wieder mehr Macht auf die Arbeitnehmer ausüben können (=Unterdrückung im Büro). Auf der anderen Seite geht es um Immobilien. Vor allem, wenn der Arbeitgeber (wie z.B. Alphabet) selbst eine große Menge davon hat, geht dort gerade die Angst um einen massiven Werteverlust um. Wenn keiner mehr ins Büro geht, kann ich meine Gebäude schließlich nicht mehr vermieten. Wenn die Infrastruktur drum herum wegstirbt, kann ich es keinem mehr zu hohen Preisen verkaufen. Aber ist das unser Problem? Nein. Es ist eins des Kapitalismus. Unser Problem sollte es hingegen sein, dass es uns und unserer Umwelt gut geht. Dann geht es auch der Gesellschaft gut und wir kommen gemeinsam weiter. Die Option ins Home Office zu gehen ist dafür nicht das Allheilmittel. Es ist aber ein Baustein dafür. Lasst es euch also nicht madig machen!