Ich hab’ mal wieder ein paar PC-Spiele in physikalischer Form gekauft. Genauer gesagt NieR Replicant ver.1.22474487139…* (japanische Titel sind echt völlig bekloppt manchmal), DEATHLOOP* (ja, Prey – Mooncrash ist wohl besser) und Fallout 76* (weil es mittlerweile verramscht wird). Ist zwar immer noch eine Priorität für mich, wenn möglich die Retail-Box zu kaufen, aber sehr häufig tue ich es trotzdem nicht mehr. Hab’ schließlich noch mehr als genug zu spielen (und kriege dank meines Bundle-Wahns ständig Neues dazu), da brauche ich nicht zwingend noch weitere Blockbuster im Regal verstauben lassen. Dann lieber gar nicht (also weder physikalisch noch digital).
Andererseits ist der Retailmarkt für PC sowieso so gut wie ausgestorben. Ja, der Wechsel hin zum reinen Downloadmarkt war schon lange absehbar. Aber als ich anno 2012 darüber schrieb, hatte ich eher den gesamten Markt im Blick. Die Realität scheint jedoch, dass es bislang nur den PC volle Kanne getroffen hat. Für die Konsolen gibt es hingegen auch zehn Jahre später noch ein reiches Angebot an Packungen in den Regalen. Eine erste Vermutung von mir ist, dass dort noch weit mehr die “Gelegenheitskäufer” zu finden sind. Die, die halbwegs spontan im Laden zugreifen.
Das Gegenargument
In der damals erwähnten Nischenecke sieht das Bild für PC-Fans aber ebenfalls sehr düster aus. Die Sammeleditionen für Liebhaber und sowas. Selbst da: PC-Spiele? Kennsch ned, magsch ned, weg damit! Egal ob Limited Run Games, Strictly Limited Games oder wie sie alle heißen: Vom NES bis zur PS5 haufenweise Angebote aber PC-Titel? Nur in absolut extremen Einzelfällen, in denen es gefühlt zähneknirschend nicht anders geht (wie z.B. die Monkey Island 30th Anniversary Anthology). Gibt es auf dem PC keine Sammler? Alles nur Retro-DOS-Fuzzies? Kaufen PCler vielleicht sogar gar keine Spiele mehr? Gibt es überhaupt noch PC-Spieler? Bin ich etwa der einzige Überlebende?! Vermutlich nicht. 44% der initial in Europa verkauften Kopien von Elden Ring* waren schließlich die PC-Version (trotz deren schlechteren Performance).
Ich verstehe es also wirklich nicht, warum der PC-Retailmarkt so dermaßen ausgestorben ist. Da mittlerweile eh alles online aktiviert werden muss, kann auch das Argument “PCler sind alles Raubkopierer” nicht gegen eine Retailpackung sprechen. Es kann wohl doch nur die Erfahrung der Hersteller sein, dass PC-Spieler nicht spontan im Laden kaufen, ihren Kram nur noch über Steam holen und keinen Wert auf irgendetwas im Regal legen. Finde ich ein wenig verwunderlich – speziell wegen der heutigen Retrokultur und dem gefühlt dazugehörigen Wunsch möglichst viele sinnlosen Knickknacks zu haben – und sehr schade.
Andererseits: Spart mir natürlich Geld. Wo es nichts gibt, werde ich nicht in die Versuchung geführt etwas zu kaufen und warte bis der Blockbuster irgendwann mal in irgendeinem Sale oder Bundle enthalten ist. Wie meinte Rondrer vor kurzem zu mir? “Achja, du bist ja jetzt auch auf der dunklen Seite.” Wo er Recht hat, hat er Recht. Andererseits hat unser Azzkickr schon vor 12 Jahren gesagt KAUFT KEINE SPIELE MEHR! und getreu seinem Motto holt er sich heutzutage hauptsächlich dank günstigen GamePass-Abo-Verlängerungen seinen Fix. Insofern *schulterzuck* .
Gähnende Leere
Einen Grund kann ich mir allerdings doch vorstellen, warum PCler nicht mehr zu einer Packung greifen: Viel drin ist in den Standard-DVD-Boxen mittlerweile nicht mehr. Hüllen mit mehreren DVDs (PC-Spiele haben nie den Sprung auf Blu-ray gemacht), die zumindest eine komplette Version des Spiels enthalten, gibt es faktisch gar keine mehr. Eine Ausnahme ist der “Casual”/Budget-Bereich. Aber das liegt daran, dass diese Titel oft sogar noch ohne Onlineaktivierung auskommen. Entsprechend müssen sie ein Medium enthalten. Überall sonst werdet ihr hingegen immer gezwungen einen Teil, wenn nicht sogar das ganze Spiel herunterzuladen. DEATHLOOP enthält sogar nur eine CD (ja, eine CD!) mit dem Steam-Installationsprogramm drauf. Keine Ahnung, was sich derjenige dabei gedacht hat. Die Kosten hätte man sich dann ebenfalls sparen können, wenn ich nicht einmal einen Teil des Spiele-Downloads einsparen kann. Die Argumentation ist einfach und verständlich: Wenn ich den Titel eh online aktivieren und mir vor dem Genuss zig Patches runterladen muss, dann brauche ich mir nicht mehr die Mühe machen ein Medium zu pressen. Dass es immer noch viele gibt, die mit langsamem Internet unterwegs sind: Details.
Entsprechend wenig verwunderlich ist es, dass viele Publisher mittlerweile komplett darauf verzichten selbst eine DVD (oder einen USB-Stick, wäre schließlich auch okay) beizulegen. In den meisten Fällen ist tatsächlich heutzutage in der Box nur noch ein mehr oder weniger kreativer Zettel mit dem Code für den jeweiligen Launcher enthalten. Ein Medium mit Daten? Fehlanzeige. Außer man heißt Square Enix und will den ultimativen Schutz. Dann packt man zwar einen Zettel mit einem Code in die Packung, der kann aber in keinem Launcher und auf keiner Webseite aktiviert werden. Stattdessen liegt immer noch eine DVD dabei, die ihr einschieben müsst. Dann startet ein Aktivierungsprogramm, das sich mit dem Internet verbindet. Erst dort gebt ihr den Code ein und bekommt zur “Belohnung” einen Steam-Key zurück. Werden in Japan aus so vielen DVD-Boxen die Keys geklaut, dass man sich so extrem absichern muss? Anders kann ich mir diesen Hochsicherheitskram nicht erklären.
Und auf der linken Seite der DVD-Hülle? Werbezettelchen, selten mal eine Übersicht über die Tastenbelegung und maximal noch die Installationsanleitung/Supporthinweise, wenn sie nicht schon auf die Rückseite des Covers gedruckt wurde. Das war’s. Handbücher sind faktisch vollständig von der Bildfläche verschwunden (auch beim digitalen Kauf). Realistisch betrachtet bin ich also tatsächlich völlig bekloppt, dass ich überhaupt noch Geld für eine “physikalische Kopie” ausgebe. Am Ende steht außer einer leeren Hülle eh nichts im Regal. Aber, dass ich bekloppt bin, hatten wir damals ebenfalls schon erörtert. Für alle anderen gilt entsprechend: Kauft digital oder, wenn es eine Packung sein soll, eine Spezial-Edition, wenn anständiger Krimskram drin ist. Die normale Retailbox hingegen? Bei PC-Spielen einfach im Regal stehen lassen. Bei Konsolen sieht es in Bezug auf die Beilagen zwar ebenfalls mau aus. Aber da ist wenigstens noch ein Medium mit einer (in den meisten Fällen…) lauffähigen Kopie des Spiels enthalten. Gleichzeitig wäre es im Sinne des Umweltschutzes natürlich besser, wenn man einfach konsequent sein würde und die Packung komplett bleiben lässt statt einer leeren Hülle zu produzieren. Aber vermutlich haben die wenigen verbliebenen Retailer wie GameStop (ja, die gibt es noch…) derzeit noch ausreichend zahlungskräftige Argumente dagegen.
Der Stein des Anstoßes
Stellt sich zum Abschluss vielleicht noch die Frage, wie ich überhaupt plötzlich auf das Thema gekommen bin. Schuld daran ist tatsächlich American McGee’s Alice. Dazu habe ich vor kurzem mal wieder auf YouTube ein Videoessay geschaut. Bis heute eines meiner absoluten Lieblingsspiele (müsste die Liste trotzdem mal aktualisieren) und eine fantastische Interpretation/Fortsetzung des Originals. Hoffentlich schafft es McGee bald mal EA davon zu überzeugen Alice: Asylum zu finanzieren (oder ihm die Rechte zu verkaufen).
Anno 2000 kam in Deutschland das Spiel in einer DVD-Box in den Handel (eines der ersten in diesem Format). Die enthielt zwei CDs und ein Handbuch. Und genau dieses Handbuch ist für mich etwas Besonderes. Neben dem Standardkram (Installationsanleitung, Tastenbelegung, Beschreibung des Interface, etc.), enthält es nämlich einen Krankenbericht. Quasi die Akte über Alice ab dem Zeitpunkt, in der sie in die Psychiatrie eingeliefert wurde bis zum Ende des Spiels. Der Bericht ist sehr gelungen und gibt einen Eindruck davon, wie die Geschehnisse im Spiel sich in der Außenwelt bemerkbar machen. Der Text stammt zwar aus der Feder von Greg Roensch und ich weiß nicht, inwieweit er tatsächlich von American McGee als Kanon angesehen wird. Aber ich finde ihn echt super und eine gelungene Ergänzung. Leider bin ich noch auf kein einziges Analyse-Video gestoßen, welches diese Geschichte auch nur am Rande erwähnt. Und das finde ich schade. Möglicherweise wissen die Autoren gar nicht, dass sie existiert. Legal erhältlich ist American McGee’s Alice schließlich derzeit nicht und möglicherweise ist das Handbuch nicht einmal in der jeweiligen Fassung dabei. Mal ganz abgesehen davon, dass wir es heutzutage eh nicht mehr gewohnt sind nach einem Handbuch zu suchen/da reinzuschauen.
Das ist nicht unbedingt negativ gemeint. Alles was relevant ist, sollte Teil des Spiels sein. Ein gutes Tutorial, eine Hilfesektion zum Nachschlagen für später, eine Übersicht über die Tastenbelegungen und all das – dafür braucht weder ein echter noch ein digitaler Baum sterben. Und selbst Zusatzmaterial könnte und sollte man direkt zugänglich unterbringen. Beispielsweise als kleines Goodie nach Abschluss des Spiels im Hauptmenü. In Bezug auf American McGee’s Alice existiert der Krankenbericht aber ausschließlich, weil es ein Handbuch gibt und es gefüllt werden wollte. Es ist also schon ein wenig traurig, dass Handbücher abseits von Hardcore-Simulationen vollkommen ausgestorben sind und uns deshalb solche Nebensächlichkeiten größtenteils komplett verloren gehen.
Stattdessen geht speziell im Indiebereich der Trend heutzutage noch weiter ins extrem. Man erklärt im Spiel gar nichts mehr und verlässt sich stattdessen darauf, dass die Community ein Wiki anlegt und pflegt. Ich persönlich finde das eine absolute Sauerei. Nicht nur wegen der Ausbeutung der Freiwilligen. Auch, weil es gefühlt dazu führt, dass sich die Entwickler dann überhaupt keine Mühe mehr machen Tutorials und Hilfen einzubauen. “Man kann ja das halbfertige Wiki lesen, wenn man Spaß haben will”… *kopfschüttel* Der frühe Erfolg von Minecraft war echt keine gute Sache in vielerlei Hinsicht.
Herrje, 12 Jahre ist mein Artikel schon wieder alt. Wie doch die Zeit vergeht. Aber immerhin besitzt der Artikel – habe ihn eben extra nochmal gelesen – ja durchaus noch Aktualität.
Natürlich: das seinerzeit von mir propagierte (und auch damals echt aus preislicher Sicht sehr attraktive) Verleihgeschäft, ist in seiner klassischen Form (dem Versenden physischer Datenträger) heute überholt bzw. ausgestorben. Aber eben auch nur, weil es zu diesen absurd günstigen Verleihpreisen heute AAA-Titel sogar zum Kauf, wenn nicht gar geschenkt (Epic Store…) gibt.
Oder eben im Rahmen von Abomodellen, allen voran des X-Box-Game-Pass. Einen Monat für einen Euro? Ganz legal? Das ist schon absurd günstig.
Geht durch diese Vertriebsmodelle ein Stück der Faszination von Computerspielen verloren? Ja, absolut. Durch die Ramschpreise (und auch die lieblos-leeren retail-Verpackungen) werden – selbst hochwertige – Spiele nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen, sondern eben als Stangenware, die schier unendlich produziert wird. Der Zauber beim Öffnen einer fetten Pappbox, der Geruch, die Goodies – alles weg.
Andererseits: würde ich 50-150 € für eine fette Collectors-Edition eines Spiels ausgeben? Nein. Das liegt aber auch an meinem mittlerweile fortgeschrittenem Alter und der damit einhergehenden Höherpriorisierung anderer Dinge. Es gibt aber schlicht auch keine Spiele mehr, auf die ich mich so sehr freuen würde, um einen solchen Geldbetrag in die Hand zu nehmen.
Vorschläge hätte ich durchaus: z.B. ein AAA Star-Trek-TNG Spiel im Stil von Mass Effect, kombiniert mit Elementen aus Bridge Commander und FTL. Aber das ist dann halt doch zu nischig.
Ne CE mit einem schicken Enterprise-D-Modell wär’ was, ja .
Und ja, “Wert” sehen speziell bei PC-Spielen die wenigsten noch. Sieht man ja auch an der “zwei Minuten kein Update? TOT!!!!!1”-Kultur, die mittlerweile herrscht.
Das Konsolen-Exklusivitätsgebahren von Sony und Nintendo ist grundsätzlich absoluter Mist. Aber ich glaube schon, dass das sehr viel dabei hilft, dass deren Titel tatsächlich auch entsprechend noch anders wahrgenommen werden.