Ich schiebe ja immer noch einen Bildungsurlaub vor mir her. Nachdem es 2021 überhaupt nicht geklappt und ich 2022 nur mit Ach und Krach noch einen fand. Entsprechend hatte ich schon frühzeitig für dieses Jahr zwei Anmeldungen getätigt. Und nun sollte es endlich soweit sein. Der eine war für letzte Woche angesetzt. Der andere für diese Woche. Und immerhin: Einer davon fand tatsächlich statt! Die Erfolgsquote liegt also immerhin bei 50%. Und der für diese Woche wurde zwar abgesagt, es gibt aber einen Alternativtermin im November. Es könnte also noch hinhauen, dass ich endlich mal mein “Defizit” aufgeholt bekomme *daumendrück*.
Das Thema
Letzte Woche war ich also mal wieder vor Ort (!) bei der Kreisvolkshochschule Groß-Gerau. Besucht habe ich den Kurs Rhetorik und Kommunikation von Frank Winterstein für 300 EUR. Hr. Winterstein ist (Theater-)Schauspieler, Kommunikationstrainer und hat sogar mal Hörbücher vertont sowie mehrere Jahre die Zeitschrift “DER SPIEGEL” für schlecht Sehende eingesprochen. Eine gewisse Erfahrung mit dem Thema war also durchaus vorhanden . Er hielt den Bildungsurlaub zudem zum fünften Mal ab.
Grundsätzlich hatte ich schonmal vor vielen, vielen Jahren einen Rhetorik-Kurs über meinen Arbeitgeber besucht. Davon ist mir immerhin noch in Erinnerung, dass ich damals für meinem Übungs-Vortrag das Thema “Killerspiele” wählte. Zum Einstieg nahm ich ein Zitat des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und haute danach buchstäblich auf den Tisch. Ihr könnt euch sicher sein, dass ich ab da die volle Aufmerksamkeit meiner Mitschüler und des Trainers hatte. Die Qualität meines Vortrags nahm danach leider rapide ab… Aber bei Rhetorik und Kommunikation gibt es so viele Facetten, dass es mich definitiv gereizt hat mal wieder was zum Thema zu machen – und wenn es nur eine Auffrischung gewesen wäre. Nach Abschluss der Woche kann ich jedoch ganz klar sagen: Es war ganz anders, als erwartet – und entsprach technisch gesehen auch nicht so recht der Beschreibung. Letzteres hat den ein oder anderen Teilnehmer wenig begeistert. Ich gehe aber grundsätzlich in einen Bildungsurlaub erstmal mit “ich lass mich überraschen” rein. Insofern hat mich das nicht gestört und ich habe stattdessen viele interessante Sachen und Erkenntnisse mitgenommen.
Die Gestik
Vermutlich bekomme ich gar nicht mehr alles zusammen, was wir in den fünf Tagen so gemacht haben, aber ich versuche es mal: Angefangen hat es mit grundlegender Körpersprache. Also welche Bedeutung haben welche Bewegungen, wie wirkt es auf andere sowie das ganze Thema “Spiegeln”. Spiegeln heißt, dass ich (bewusst oder unbewusst) Bewegungen meines Gegenübers nachmache. Einfachstes Beispiel ist das, was wir alle kennen: Gähnt ein uns symphytischer Mensch, dann müssen wir ebenfalls gähnen. Und das eben erweitert auf alle möglichen Bewegungen. Vom “ein Bein über das andere schlagen” hin zum “Nase-Kratzen” lässt sich alles nachahmen (und wir tun es oft) und so in eine stärkere Verbindung mit dem Gegenüber und seiner Sicht der Dinge treten. Ihr müsst allerdings vorsichtig sein: Übertreibt ihr und/oder macht es zu offensichtlich, kommen wir ganz schnell ins “Verarscht du mich gerade?!”-Territorium.
Außerdem haben wir die “acht vertikalen Ebenen der Körpersprache” gelernt. Bewegt ihr eure Arme beispielsweise über dem Kopf, dann hat es was “Spirituelles”, “unerreichbares” an sich. Auch “Freude” findet vor allem über dem Kopf statt. Während auf Brusthöhe eher Bewegungen in Bezug auf “geben” und “nehmen” passieren. Alles Dinge, die wir faktisch jeden Tag automatisch und völlig unbewusst tun. Entsprechend cool war es das mal gelernt zu haben und es nun genau bei anderen (und bei sich selbst) beobachten zu können. Die Idee ist, dass ihr dank des nun vorhandenen Bewusstseins nun selbst in der Lage seid z.B. in Vorträgen gezielter mit eurer Gestik zu spielen.
Übrigens ebenfalls ein dazugehöriges Thema, das besprochen wurde: Die grundsätzlichen Regeln der Körpersprache bei einem Vortrag. Also so Sachen wie “Blickkontakt suchen” und “nicht wie ein steifer Bock in der Gegend rumstehen”. Lernt man aber auch in jedem Präsentationstraining.
Die Sprache
Ein weiterer Schwerpunkt waren die rhetorischen Sprechregeln. Diese hat er uns anhand eines Gedichts von Heinrich Heine (“Sie saßen und tranken am Teetisch“) sowie einem Text von Karl Valentin (“Der Fisch und die Schiffsschraube”) erarbeiten lassen. Das war zugegebenermaßen ziemlich mühsam und langatmig (hat faktisch einen ganzen Schulungstag verschlungen) und hat entsprechend zu großem Unmut in der Gruppe geführt. Ich fand es zwar ziemlich spannend aber die Bearbeitung war mir ebenfalls viel zu langsam. Ich konnte das Gedicht am Ende auswendig aufsagen, weil ich es gefühlt 4 Millionen Mal durchgelesen hatte (und durfte nur zwei Zeilen tatsächlich vortragen…). Aber wie auch der Trainer sagte: Es ist ein Grundbaustein von allem, was danach kommt. Beispielsweise sind das die vier Betonungsarten, die man im Kopf haben sollte:
- Melodie (Stimme nach unten sachlich, Stimme nach oben emotional)
- Geschwindigkeit (inkl. der Kunst der Pause)
- Lautstärke
- Artikulation (Aussprechdeutlichkeit)
Mit diesen vier Methoden gilt es dann so Sachen wie Wichtigkeit oder Gegensätze sprachlich zu verdeutlichen. Wenn beispielsweise ein neuer Charakter eingeführt wird, dann wird sein Erscheinen anders betont, als wenn sein Name zum zweiten oder dritten Mal fällt. Um quasi dem Hörer klar zu machen, dass es was Neues ist, was er sich merken sollte. Vermutlich lernt man sowas auch im Deutschleistungskurs auf dem Gymnasium oder so, aber ich kannte das definitiv noch nicht.
Die Umsetzung
Tag vier und Tag fünf haben wir hingegen vor allem mit praktischen Übungen verbracht. Zuerst war ein eigener Vortrag dran. Das gewählte Format war die “5-Satz-Rede mit Appell”. Das heißt nicht, dass der Vortrag nur fünf Sätze haben darf. Er hat nur eine bestimmte Reihenfolge und bestimmte Inhalte:
- Ansprache Begrüßung
- Thema
- Standpunkt
- Begründung
- Beispiel
- Überleitung/Schlussfolgerung
- Appell (mit “!”)
Ich “durfte” ein Beispiel machen und da kam mir das folgende in den Sinn:
“Liebe ADAC-Mitglieder! (1) Ich möchte heute mit Ihnen über Autos sprechen. (1a) Ich persönlich finde sie ja total schrecklich. (1b) Sie verpesten die Luft, sind laut und verschwenden haufenweise Ressourcen. (2) Schauen sie sich beispielsweise mal um 8:30 Uhr in der Innenstadt von Groß-Gerau um. Blechlawinen soweit das Auge reicht! (3) Und so sieht es überall in unserem Land aus. (4) Deshalb meine eindringliche Bitte an sie: Steigen sie um aufs Fahrrad!” (5)
Als nächste Übung stand hingegen die “Präsenz” auf dem Plan. Auf dem Papier wesentlich simpler als der Vortrag, den es galt einfach nur neutral vor der Gruppe zu stehen. Also ohne irgendeinen Vorsatz oder Hintergedanken und ohne auch nur ein Wort zu sagen. Schlicht so wie man ist anwesend sein und zu schauen, was es mit einem macht und wie es auf die Gruppe wirkt. Als Tagträumer absolut mein Ding und sie meinten entsprechend, dass ich sehr beruhigend und gelassen auf sie gewirkt habe. Sagte dann scherzhaft, ob ich vielleicht mal einen VHS-Kurs “Schweigen mit dem Webmaster” anbieten sollte . Der ein oder tat sich hingegen (verständlicherweise) ziemlich schwer von zehn Leuten einfach nur angestarrt zu werden.
Zu guter Letzt haben wir noch kurz ein bisschen Telefontraining gemacht. Aber die Zeit war zu knapp, um da richtig einzusteigen. In Konsequenz habe ich da für mich nichts wirklich mitgenommen. Ich hatte zwar früher richtig Angst zu telefonieren aber das ist schon seit Jahren (arbeite ja schließlich bei der Deutschen Telekom) absolut kein Thema mehr.
Fazit
Wenn ich so an meine bisherigen Bildungsurlaube zurückdenke, war das glaube ich der kurzweiligste, den ich bislang hatte. Die Tage und die Woche waren super schnell rum und ich habe sehr viel gelernt, was ich auch tatsächlich im Alltag nutzen kann. Zur Kurzweil beigetragen haben sicherlich die lustigen Spielchen, die er hin und wieder eingestreut hat. Beispielsweise machte jemand eine kleine Bewegung und einen Laut/ein Wort dazu und der nächste in der Runde musste es verstärkt wiedergeben. Wobei “verstärkt” von unserer Gruppe und mir vor allem mit “möglichst aggressiv und laut” interpretiert wurde. Könnte euch sicherlich vorstellen, wie es da abging. Nach den meisten Spielchen lag ich am Boden, weil ich mich vor Lachen nicht mehr halten konnte. Einfach, weil so viel absurdes Chaos dabei entstanden war.
Zusammengefasst kann ich den Bildungsurlaub “Rhetorik und Kommunikation” von Frank Winterstein also absolut nur empfehlen. Ihr solltet euch nur bewusst sein, dass mindestens eine Textanalyse mit dabei ist und Hr. Winterstein gerne aus seinem (durchaus interessanten) Leben erzählt. Da gilt es ihn ab und zu bremsen und wieder auf Kurs zu bringen .