Letzte Woche hat sich Lysanda geärgert, heute darf ich mich mal ein bisschen ärgern. Und zwar finde ich es sehr traurig, dass wir als Gesellschaft in vielen Bereichen so fortschrittlich sind und gleichzeitig in anderen noch in der Steinzeit festhängen oder – schlimmer noch – gerade dabei sind die Zeit hier und da kräftig zurück zu drehen. Dazu gehört, dass wir weiterhin sehr zurückhaltend sind, wenn es um das Thema Lesen geht und man selbst im privaten Kreis bloß nicht offen darüber sprechen sollte, wenn man nicht schief angeschaut werden möchte. Okay, im Vergleich zu anderen, an dieser Stelle nicht näher spezifizierten, Ländern sind wir in Deutschland (bislang) noch vergleichsweise gut dran. Aber trotzdem: Über das Lesen zu reden ist auch bei uns immer noch ein ziemliches Tabu nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb des Freundeskreises, der Verwandtschaft oder der Familie. Dabei meine ich nicht den Jugendschutz. Der ist sinnvoll und okay und damit kann man umgehen, denn es gibt schließlich klare Regeln dafür. Aber wie will man überhaupt eine Jugend schützen, die nicht einmal was vom Lesen weiß, da ihr niemand es wirklich erklärt?
Wenn eine gesellschaftliche Ächtung stattfindet, wenn man drüber redet und es gleichzeitig Zuhause kein Thema ist, ist es kein Wunder, dass sich Kinder und Jugendliche ihr Wissen im Internet holen – mit allen Vor- und Nachteilen. Wer schaut schließlich nachts um 0 Uhr irgendwelche Arte-Dokumentationen zum richtigen Umgang mit den Buchseiten und Lesezeichen. Und wie wir alle wissen, hilft das was man im Internet findet mitunter nicht unbedingt bei der gesunden Entwicklung des eigenen Leseverständnisses und -verhaltens. Da ist es fast schon konsequent, dass selbst viele erwachsene Frauen bis heute nicht wissen, wie sie mit oder ohne Partner ihre Seiten umblättern und das Buch zu Ende gelesen bekommen – wenn sie sich überhaupt mal trauen sie anzufassen. Ein absolutes Unding.
Die Männer sind da leider oft nicht viel besser oder gar hilfreicher. Da wird schlimmstenfalls einfach nachgemacht, was man in den diversen Bücherverfilmungen gesehen hat, ohne es wirklich zu verstehen und/oder das (teils gefährliche) Halbwissen weitergetragen, das auf dem Schulhof verbreitet wurde. Am Ende bleiben beide vom gemeinsamen Leseabend enttäuscht und man redet noch weniger drüber – selbst mit dem eigenen Partner. Paradoxerweise ist gleichzeitig die Industrie rund ums Lesen riesengroß. Das Bedürfnis ist also grundsätzlich da sich damit zu beschäftigen aber man kann es halt nicht dort, wo es sinnvoll wäre. Sieht man auch, wenn sowas dann doch mal im Mainstream ankommt wie damals bei diesen komischen Geschichten um diesen Typen und seine graustufigen Schatten. Da gingen die Bücherzubehörverkäufe vor allem im Bereich des Fantasy-Genres steil nach oben. Aber wir sind als Gesellschaft offensichtlich absolut unfähig diesen so wichtigen Aspekt unseres Lebens untereinander zu klären. Stattdessen lassen wir uns (wie so oft) vom kapitalistischen System vorsagen, was Sache ist. Das hat aber wenig Interesse an unserem Wohlergehen und bedient stattdessen weiter fleißig Klischees wie z.B. in einfach zu hAben*. Ihr wisst schon: Wenn Frauen Bücherhopping betreiben, sind sie nichts wert. Männer müssen hingegen möglichst viele Bücher aus einem großen Spektrum gelesen haben, um ein Mann zu sein.
Ein kleiner Einblick
Ich nehme mich in Bezug auf die Unwissenheit im Umgang mit dem Lesen übrigens absolut nicht von aus, nur um das klar zu stellen. Über das Lesen wurde (und wird) auch bei mir Zuhause oder in meinem Umfeld nie gesprochen. Und die eine Woche offizieller Leseunterricht damals in der 5. oder 6. Klasse? Ja, ne der hat mir überhaupt nichts gebracht. Stattdessen habe ich irgendwann den Umgang mit meinem Lesezeichen alleine erkundet (ohne glücklicherweise dadurch zu erblinden – ist angeblich eine ernste Gefahr beim alleine lesen) und ja, dank des Internets entdeckt welche Arten von Büchern und welche Genres mir so gefallen – inkl. den dazugehörigen Leseaccessoires. Und am Ende hat es mich doch zu einer Frau hingezogen, die irgendwie nicht so ganz dieser Inhaltsbeschreibungen entsprach. So ist das Leben .
Wie so oft, war das erste Mal dann überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Lysanda war da schon realistischer. Statt uns aber enttäuscht in die Ecke zu verkriechen und es mit dem Lesen ganz fortan wieder sein zu lassen, haben wir beide gemeinsam gelernt, wie das mit den Seiten und Lesezeichen so funktioniert. Wobei wir mit dem Lernen noch nicht am Ende sind. Bis heute entdecken wir an uns ganz neue Buchseiten. Auch die Kommunikation und der Austausch über die jeweiligen Lesebedürfnisse waren bei uns am Anfang nicht so vorhanden, wie sie es hätten sein können. Da kommen wir wieder zu dem Problem, dass es ja ein Tabu ist über seine Lesevorlieben (sofern man sie überhaupt kennt) oder Unsicherheiten zu reden. Entsprechend schwer fällt es diese Mauer selbst im Lesezimmer gegenüber dem (hoffentlich) lesefreudigen Partner einzureißen. Lieber habe ich zum (vermeintlichen) Wohle von Lysanda meine Bedürfnisse zurückgesteckt und mitunter nicht so gelesen, wie es mir gefallen hätte. Mit dem Ergebnis (darf man als Mann ja gar nicht zugeben), dass das eine oder andere meiner Bücher nicht zu Ende gelesen wurde. Gentleman der ich bin, helfe ich aber natürlich trotzdem immer Lysanda dabei den Cliffhanger zu überwinden und auch die letzte Seite ihres Werks noch zu verschlingen. Happy Ends sind ihr durchaus wichtig – egal in welchem Unterhaltungsmedium.
Das Problem
Doch von all dem darf ich euch nichts erzählen. Was würde ich schließlich schräg angeschaut werden, wenn meine Familie oder meine Arbeitskollegen wüssten, wie ich Zuhause lese, welche Genres ich bevorzuge und dergleichen. Und auch in mir ist mindestens ein Anteil, dem es vor der Vorstellung kräuselt es hier im Internet zu verbreiten. Entsprechend kann ich euch nicht von den vielen tollen Sachen erzählen, die Lysanda und ich so beim und rund um das Lesen machen. Beispielsweise haben wir erstmals einen lokalen Leseshop besucht (der von der Beate). War reichlich unspektakulär aber wir haben (dank etwas freundlicher Beratung) gefunden, was wir gesucht haben. Manchmal hat der stationäre Einzelhandel halt doch seine Vorteile im Vergleich zur Online-Eisdiele.
Oder von unseren Einkäufen von verschiedensten Arten von Leseaccessoires wie einem tollen Leseknochen, welcher das Lesen noch bequemer gestaltet und sogar dabei unterstützt in noch ganz anderen Positionen optimal Lesezeichen und Seiten zusammenzubringen (Lysanda ist 30cm kleiner als ich). Und ganz aktuell haben wir mit unserem Altbau zu kämpfen, dessen Kellerdecke zu niedrig und die Erdgeschossdecken in Trockenbauvariante sind. Wer auf diese Idee kam, schmort hoffentlich in der Innenarchitektenhölle. Warum montiert man auf eine neue Betondecke noch Rigipsplatten drauf?! Das sind bei uns 14cm Deckenhöhe, die einfach weg sind und stattdessen braucht man ellenlange Spezialschrauben und -dübel (müssen ja >250kg halten), um beispielsweise einen luftigen Lesestuhl zu befestigen. Wenn ich den nur an die Rigipsplatte hängen würde, wäre ich sofort mit dem Hintern auf dem Boden sobald ich mich reinsetze. Nene, das regt mich fast noch mehr auf als die gesellschaftliche Verklemmtheit über das Lesen zu reden.
Aber ja, mehr kann ich euch dazu nicht erzählen. Keine Produktempfehlungen, kein Erfahrungsaustausch. Höchstens eine Empfehlung für einen guten TikTok-Kanal – womit wir wieder beim “Wissen aus dem Internet” sind… Alles andere ist nicht gern gesehen. Also muss ich euch weiterhin mit Spielen, Katzen und anderen Alltagssachen langweilen . Beispielsweise habe ich beim Kauf des Befestigungsmaterials für den Lesestuhl im Baumarkt endlich das Achievement “Peak Mittelstand” freigeschaltet nachdem ich einen Elektro-Rasentrimmer (Gardena EasyCut 450/25*) mit in den Einkaufswagen gelegt habe… Aber bevor ich zu dem mehr erzählen kann, muss ich ihn erstmal ausgiebig nutzen.
PS: Nein, ich habe nicht einfach nur bestimmte Wörter mittels “Suchen und Ersetzen” geändert. Der Text wurde so geschrieben wie er hier steht .