Lysanda ist mittlerweile sehr aktiv auf TikTok und in den letzten Tagen ist ihr da was aufgefallen. Und zwar wird aktuell unter der Überschrift Hochdosierte Vitamine werden 2024 von der EU verboten ein bisschen Panik verbreitet. Teilweise von Accounts, denen ich unterstelle es aus Profitgier zu tun (sie vertreiben selbst Nahrungsergänzungsmittel). Aber das kann ich weder nachweisen noch ändern. Nur an dieser Stelle mal wieder der Hinweis, dass der Weg des Geldes einem oft so einiges über seine Informationsquelle verrät und man entsprechend aufmerksam sein sollte. Hier Beim Christoph wird euch diese Analyse übrigens nur zu ein paar Affiliate-Links führen, bei denen mir es egal ist was ihr kauft – Hauptsache irgendwas, damit ich ein paar Cent kriege, um die Serverkosten (mittlerweile 6 EUR pro Monat plus die URL) ein wenig abzufangen .
Doch zurück zur Sache: Da wir bekanntlich auch (teils hochdosierte) Nahrungsergänzungsmittel nutzen, interessiert uns das Thema selbstverständlich ebenfalls. Nicht, dass wir tatsächlich noch einen Hamsterkauf tätigen müssen bevor ein neues Gesetz in Kraft tritt, wie von den TikTokern empfohlen. Da wir aber erst einmal skeptisch sind, wenn da was von Leuten im Internet erzählt wird, haben wir dahingehend mal ausführlich selbst recherchiert. Und hier ist das Ergebnis inkl. Quellenangaben:
Die Initiative
Zuerst einmal: Bündnis 90/Die Grünen hat damit nichts zu tun. Ich weiß, es ist gerade sehr beliebt alles Böse in dieser Welt auf sie zu schieben, nur damit man der Realität nicht ins Auge sehen muss. Und ja, sie haben 2020 mal einen Antrag für mehr Regulierung in diesem Bereich eingereicht. Aber der wurde ein Jahr später abgelehnt. Und möglicherweise haben sie in ihrem Parteiprogramm auch entsprechend was drinstehen. Das habe ich aber nicht weiter recherchiert, da es keine Relevanz hat, denn tatsächlich geht es um eine europaweite Initiative.
Diese Initiative trägt den tollen Namen Lebensmittelsicherheit – Vitamine und Mineralstoffe, die Lebensmitteln zugesetzt werden (Mindest- und Höchstgehalte) und kann über diesen Link auf der Seite der europäischen Kommission eingesehen werden. Es ist zwar (leider) nicht alles Öffentlich, was unsere Politiker tun aber zum Glück doch sehr vieles (Demokratie ftw!). Die Initiative wurde scheinbar im April dieses Jahres eingebracht. Zumindest hat am 20. April das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Pressemitteilung herausgebracht und auch die immer sehr kommunikative (positiv gemeint!) Verbraucherzentrale NRW schrieb ein paar Sätze.
Zuständig für die Initiative ist der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel – Sektion “Allgemeines Lebensmittelrecht (C20406) – und der hat sich scheinbar noch überhaupt nicht damit beschäftigt. Zumindest ist in den letzten Sitzungsprotokollen dahingehend nichts zu finden. Und auch die Initiative selbst befindet sich noch im Status “in Vorbereitung”. Weder hat eine Sondierung stattgefunden, noch ist die öffentliche Konsultation erfolgt (“geplant für Zweites Quartal 2023”) – vom tatsächlichen Erstellen und Absegnen der Verordnung mal ganz abgesehen. Es steht zwar dort geschrieben, dass sich die Kommission 2023 damit beschäftigen (wollte) und im 1. Quartal 2024 die Verordnung umsetzen möchte. Die Realität sieht aber definitiv anders aus. Der Zeitplan wurde bereits gerissen und kann faktisch nicht mehr eingehalten werden.
Fazit #1: Es müsste schon ein Wunder geschehen, dass unter diesen Umständen 2024 irgendeine Verordnung in Kraft tritt – und selbst wenn dieser unwahrscheinliche Fall eintritt, müsste diese anschließend noch in ein Bundesgesetz umgesetzt werden. Mal von irgendwelchen Übergangsfristen ganz abgesehen, die garantiert ebenfalls mit drin sind. Und hätten die TikToker das Update der Verbraucherzentrale NRW vom 28. Juli 2023 auch tatsächlich gelesen, auf das sie sich scheinbar beziehen, wäre ihnen das alles bewusst gewesen. Dort steht nämlich “Bis es soweit ist, dürften aber noch ca. 3-5 Jahre vergehen.“. Ein Hamsterkauf von hochdosierten Nahrungsergänzungsmitteln ist entsprechend in 2024 nicht notwendig.
Der Inhalt
So viel also zum Status der Initiative. Aber wie sieht es mit dem Inhalt aus? Schließlich kursiert ja jetzt die Angst, dass hochdosierte Vitamin- und Mineralienpräparate verboten werden sollen. Naheliegend, denn genau das steht ja mit im Titel der Initiative . Nun, als Diskussionsgrundlage nutzt der Ausschuss wohl diese Empfehlung des Bundesinstituts für Risikobewertung. Ja, wir Deutschen wollen schon wieder der restlichen EU was vorgeben . An dieser Stelle übrigens ein Lob an den Ersteller dieser Unterlage. Sie ist sehr ausführlich und doch leicht verständlich und übersichtlich.
Bei Vitamin C steht dort beispielsweise ein Höchstwert für eine Tagesdosis in NEMs pro Tag 250mg. Die DGE empfiehlt derzeit für einen erwachsenen Mann 110mg. Das BfR liegt also sogar höher als das, was die DGE sagt. Bei Vitamin D hingegen sind sich beide einig und sprechen von 20µg/Tag. Bei den Vitaminen B1 und B2 sowie Biotin und Pantothensäure braucht es aus Sicht des BfR sogar überhaupt keine Höchstgrenzen. Oder zusammengefasst: “Schlimmer” als die DGE-Empfehlungen wird es – wenn sie die BfR-Vorschläge so umsetzen – schonmal nicht. Und die Autoren haben sich definitiv Gedanken gemacht, ob tatsächlich ein Limitierung nach oben notwendig ist, was ich super finde. Man mag den Höchstgrenzen freilich nicht zustimmen und sicherlich wird das ein oder andere Produkt dadurch angepasst werden müssen. Aber am Ende des Tages? Selbst, wenn es nur noch Vitamin D mit 1.000 IE geben sollte: Es kann euch keiner davon abhalten 10 Stück davon zu nehmen. Es wird halt nur vermutlich teurer, weil ihr mehr kaufen müsst. Da könnten zwar auch die Hersteller was dran ändern indem sie z.B. die Packungsgrößen anpassen und sowas. Aber ich weiß: Gewinnmaximierung. Wenn schon in normalen Lebensmitteln mittlerweile zum höheren Preis weniger drin ist, warum dann bei einem “Luxusprodukt” wie NEMs es anders machen.
Fazit #2: Da sich der Ausschuss mit dem Thema noch nicht beschäftigt hat, ist aktuell faktisch abseits irgendwelcher pauschalen Absichtserklärungen (“Wir müssen die Menschen vor Quacksalbern schützen!”) nichts bekannt. Selbst der Report hilft da nicht weiter. Sollte die Verordnung kommen, wird es zwar garantiert das ein oder andere Produkt treffen – manche berechtigt (es wird echt viel Schund verkauft), andere unberechtigt. Aber darüber kann man erst diskutieren, wenn das erste Arbeitsergebnis vorliegt. Also auch hier: Erstmal abwarten und Tee/Kaffee/Bier/Wasser/etc. trinken.
Danke für den Hinweis! Da lese ich mich bei Gelegenheit mal ein, denn ich finde tatsächlich auch, dass es so manche Anbieter mit den Dosierungen erheblich übertreiben. “Viel hilft viel” gilt bei Vitaminen halt eben nicht. Und manche (Vitamin D) sind ja sogar toxisch, wenn man es übertreibt (auch wenn es lange dauert, bis man diesen Wert erreicht hat).
Auch das Argument bei manchen B-Vitaminen z.B., dass der Körper etwaige Überdosierungen wieder ausscheidet, wäre für mich kein Grund, einfach 1000% des Tagesbedarfes in eine einzige Kapsel zu packen.
Auch bei Calcium wird oft einfach übertrieben. Jemand, der einen nachgewiesenen Vitaminmangel hat, aber täglich z.B. 2, 3 Scheiben Käse isst und ein Glas Milch trinkt, kann ggf. kein Vitaminpräparat mehr nehmen, da da häufig auch noch Calcium (in zu hohen Mengen) zugesetzt ist.
Grundsätzlich find ich es also nicht verkehrt, die Mengen zu limitieren. Wobei es natürlich auch die Frage ist: wieviel wird vom Körper tatsächlich aufgenommen. Nur weil Menge X auf der Packung steht, heißt es ja (leider) nicht, dass diese Menge auch 1:1 vom Körper aufgenommen wird.