Sicarius

Überwältigende Gefühle

Ich erinnere mich.

Ich erinnere mich, dass es wie aus dem Nichts kam.

Ich kannte sie zu dem Zeitpunkt schon ein paar Monate. Wir hatten uns “zwangsweise” auf der Arbeit kennen gelernt. Sie war im gleichen Team wie ich, saß im selben Büro und dort sogar an der Tür. Aber obwohl wir von Anfang an auf der Arbeit viel Zeit miteinander verbrachten, dachte ich mir nichts dabei. Wieso auch? Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt schließlich schon jahrelang – vermutlich zum Selbstschutz – eingeredet, dass sich sowieso niemand für mich interessiert. Schon gar nicht das andere Geschlecht. Dass ich nie wirklich das Haus verließ und zudem noch in einem vergleichsweise hohen Alter im Kinderzimmer des Elternhauses saß, war der Sache ebenfalls nicht wirklich dienlich. Insofern nahm ich sie einfach nur als nette, gleichaltrige Kollegin war – die zudem, wie ich, Katzen liebte. Entsprechend dachte ich mir nichts weiter dabei, als sie vorschlug doch mal ins Kino zu gehen. Also nicht alleine, sondern zusammen mit ihrer Freundin und deren Partner. Ich nahm das Angebot dankend an. Neu in einer fremden Stadt und mir durchaus bewusst, dass ich mehr raus musste, ignorierte ich meine inneren Widerstände entsprechend. Ich setzte sogar noch einen drauf und schlug vor, dass wir doch auch mal zu einem Konzert im Staatstheater gehen könnten. Sie willigte ein und wir machten einen entsprechenden Plan.

Aus dem Kinobesuch mit ihrer Freundin wurde am Ende nichts. Unser erstes, privates Treffen war stattdessen besagtes Konzert. Nur sie und ich. Als romantische Verabredung verstand ich den Abend nicht. In meinen Augen war es einfach nur ein netter Ausflug mit Kollegen oder maximal Freunden. Ja, meine Naivität kannte keine Grenzen. Und dann ging ich auch noch in der Vorhalle einfach an ihr vorbei! In ihrem hübschen, dunkelvioletten Kleid war sie mir gar nicht aufgefallen. Übrigens war das Kleid etwas, was ich ihr versprechen musste niemals ihrer Mutter zu erzählen. Gebt ihr also auf keinen Fall diesen Text zum Lesen! Nach dem Konzert brachte ich sie mit meinem Auto nach Hause und nichts weiter passierte. Wie gesagt: Für mich war es einfach nur ein netter Abend und mehr nicht.

Ein paar Wochen später, am darauffolgenden Ostersonntag, geschah jedoch etwas, was mich bis heute selbst überrascht. Gläubigere Menschen würden jetzt sicherlich irgendwas faseln von “Die Auferstehung Jesu brachte mir die Erleuchtung!” oder so einen Blödsinn. Fakt ist: Irgendwas in mir gab mir endlich den notwendigen Tritt in den Hintern und setzte eine Maschinerie in Gang, deren Räder sich bislang noch nie gedreht hatten. Entsprechend heftig traf es mich ohne, dass ich es wirklich realisierte.

Doch wir müssen einen Schritt zurückgehen: Es war also Ostersonntag. Ich war Zuhause bei meinen Eltern. Die buckelige und nicht so buckelige Verwandtschaft war wie jedes Jahr zu Besuch. Das Mittagessen war verspeist worden und ich hatte mich in mein altes Zimmer zurückgezogen, um meine sozialen Batterien wieder aufzuladen. Dann bekam ich plötzlich eine MMS. Das an sich war schon ungewöhnlich. Ich bekam zu dem Zeitpunkt nie Nachrichten. Meine wenigen Freunde kommunizierten anderweitig mit mir. Von wem kam sie also dann? Nun, von ihr. Wegen dem Konzert hatte ich ihr meine private Handynummer gegeben. Jetzt hatte sie mir darüber einen Ostergruß geschickt. Ein Foto mit einer Blume, einem selbstgezeichneten Osterhasen und – ganz wichtig – der kleinen Katzenfigur, die ich ihr warum auch immer geschenkt hatte. Vermutlich wusste mein Inneres schon länger Bescheid und tat heimlich Dinge, um mich zu leiten aber nicht gleich zu überfordern.

In diesem Moment änderte sich das jedoch schlagartig. Diese vermeintlich simple Geste von ihr triggerte mich massiv. Ich erinnere mich noch, dass ich anfing zu zittern und sehr nervös wurde, als ich die Nachricht las. Und in einer erneut für mich äußerst untypischen Reaktion fasste ich den Entschluss direkt eine Verabredung mit ihr auszumachen. Eine kurze Internetrecherche brachte eine kleine Kunstausstellung im Prinz-Emil-Garten in Darmstadt hervor. Also rief ich sie an – erneut eine für mich außergewöhnliche Entscheidung -, aber sie ging nicht dran. Heute weiß ich, dass sie Angst hatte abzuheben. Anfangs erzählte sie mir noch, dass sie unterwegs gewesen wäre und das Handy nicht dabeigehabt hätte. Ich schrieb ihr also eine kurze SMS zurück mit dem Vorschlag am nächsten Tag zu dieser Ausstellung zu gehen. Sie willigte ein und ein kurzer Anruf von mir später (dieses Mal ging sie dran), war der Termin ausgemacht. Ich war total ekstatisch, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich verstand warum. Ich beendete darauf zügig meinen Besuch bei meinen Eltern und fuhr zurück in meine Wohnung in Büttelborn. Am nächsten Tag trafen wir uns vor ihrer Wohnung und gingen zusammen zum Park.

Meine erste Liebe (Aquarellzeichnung)

Der Park, und das ist nicht ganz unwichtig zu wissen, besteht aus einer Wiese auf einem Hang. Und oben auf dem Hügel steht ein kleines Schlösschen, in dem die Kunstausstellung sein sollte. Spoiler: Die Ausstellung haben wir am Ende nicht gefunden. Aber wir haben ehrlich gesagt nicht großartig danach gesucht. Stattdessen kamen wir oben mitten über der Wiese auf dem Hügel zum Halt. Den Blick in Richtung Stadt gerichtet. Und sie fing im Prinzip an wie auf einer Seifenkiste stehen ihr Leben vor mir und vielleicht der ganzen Welt auszubreiten. Ich weiß noch, dass mir das stellenweise etwas unangenehm und peinlich war. Obwohl es nicht der schönste oder sonnigste Tag war, waren wir mitnichten allein im Park. Speziell im Kopf geblieben ist mir mein verstohlener Blick hinter uns zu einem älteren Mann auf einer Parkbank.

Irgendwann machte sie dann doch mal eine Pause in ihrer Erzählung und wir versuchten etwas halbherzig die Ausstellung zu finden. Als das nicht gelang, gingen wir zurück zu ihr – und ich dieses Mal mit hoch in ihre Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits vollumfänglich um mich geschehen und ich ziemlich mit meinen Gefühlen überfordert. Wir redeten noch bis spät in die Nacht, bevor ich mich auf den Weg zurück in meine Wohnung machte.

Was die nächsten Tage folgte, war definitiv ein gutes Beispiel für die Phrase “Hals über Kopf verliebt”. Ich überschwemmte sie mit SMS und hatte gleichzeitig massive Angst irgendetwas falsch zu machen. Das wir uns weiter jeden Tag auf der Arbeit sahen und dort professionell sein mussten, half nicht gerade die Situation zu stabilisieren. Dass ich verliebt war, war mir aber immer noch nicht so richtig bewusst.

Wir hatten uns für Freitagabend zum Essen verabredet und ich war guter Dinge. Inspiriert von ihr, schrieb ich sogar endlich eine alte Kurzgeschichte zu Ende. Doch Freitag morgens hatte ich plötzlich eine Mail von ihr im Postfach. Es wäre ihr alles zu viel und sie wäre überfordert, stand darin. Ich sage euch, es waren quälend lange Stunden an diesem Tag auf der Arbeit. Wir saßen keine drei Meter von einander entfernt und doch fühlte es sich an als ob ein Ozean zwischen uns lag, weil ich nicht mit ihr darüber reden konnte. Und dann machten die beiden anderen Arbeitskollegen im Zimmer auch noch an diesem Tag länger! Ich war echt ein emotionales Wrack am Ende. Doch am späten Nachmittag (~17 Uhr) war es endlich soweit: Wir waren allein und ich konnte die Mail ansprechen.

Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Aber es waren scheinbar die richtigen Worte und die korrekte Geste. Die Verabredung am Abend (18 Uhr…) blieb bestehen, wir redeten anschließend noch bis 3 Uhr in ihrer Wohnung und, weil ich meine eigene Fahrtüchtigkeit aufgrund meiner Müdigkeit in Frage stellte, übernachtete ich auch zum 1. Mal bei ihr.

Und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Die Geschichte meiner ersten und bislang einzigen Liebe.

Eine Erinnerung, an die ich mich gerne zurückerinnere.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

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