Es klingt wie ein absolutes Klischee. Wie eine einfache, unkomplizierte und unverfängliche Antwort auf die Frage. Aber manchmal sind es nun mal die vermeintlich einfachen Dinge, die die größten Auswirkungen haben können. Es ist der berühmte Flügelschlag des japanischen Schmetterlings, der in Europa zu Überschwemmungen führt. Und für mich und mein Leben ist die Tatsache schlicht und einfach, dass Lysanda die größte Ressource für mich war und ist. Sie ist die Antwort auf die Frage, welche Menschen mich gestärkt haben. Sie ist diejenige, die mich am meisten geprägt hat und es jeden Tag weiter tut.

Das ist logischerweise eine große Last, die ich ihr da aufbürde. Doch ohne sie wäre ich nicht der Mann, der ich heute bin. Keine Phrase, keine Übertreibung – nur die harten Fakten. Sie ist da an meinen Tiefpunkten. Sie steht mir bei. Sie hört mir zu. Sie ist mit Rat und Tat an meiner Seite. Und sie hilft mir immer mich weiter zu entwickeln. Mich selbst zu finden. Sie reicht mir auf meinem Weg ins Ungewisse die Hand und begleitet mich.

Als ich aus dem Elternhaus nach 29 Jahren auszog, war ich auf der einen Seite hoffnungsvoll und gespannt, was jetzt mit mir passiert. Gleichzeitig war ich aber nun auch völlig allein und auf mich gestellt in einer fremden, neuen Umgebung. Das war entsprechend ein willkommener Nährboden für meine Selbstzweifel, meine Depressionen und meinen grundsätzlich negativen Ausblick auf den Rest meines Lebens zu dieser Zeit.

Dann trat Lysanda in mein Leben und plötzlich gab es einen Sinn für mein Dasein auf dieser Erde. Meine Selbstzweifel versuchen zwar bis heute dieses Glück unwirklich erscheinen zu lassen und es sicherheitshalber von mir wegzustoßen. Doch Lysanda, mein Fels in der Brandung, lässt das nicht zu. Sie findet es nicht gut, wie ich mit ihrem geliebten Ehemann umgehe und versucht stattdessen mich zu stärken.

Mir zu zeigen, dass ich nicht mehr alleine bin.
Mir verstehen zu geben, dass nichts in Stein gemeißelt und bis zum Ende des Lebens ertragen werden muss.

Wenn ich entsprechend zurückblicke. Zurückblicke auf den Sicarius im Jahr 2013, dann erkenne ich ihn kaum wieder. Ja, er ist und wird immer ein Teil von mir sein. Aber ich bin nicht mehr er und darüber bin ich sehr froh. Und ohne Lysanda hätte ich das nicht geschafft.

Deswegen ist sie der Mensch, der mich am meisten geprägt hat.
Der Mensch, der mir die meiste Kraft gibt.
Meine größte Ressource.

Und nicht nur aber auch deshalb liebe ich sie von ganzem Herzen.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Ich erinnere mich.

Ich erinnere mich, dass es wie aus dem Nichts kam.

Ich kannte sie zu dem Zeitpunkt schon ein paar Monate. Wir hatten uns “zwangsweise” auf der Arbeit kennen gelernt. Sie war im gleichen Team wie ich, saß im selben Büro und dort sogar an der Tür. Aber obwohl wir von Anfang an auf der Arbeit viel Zeit miteinander verbrachten, dachte ich mir nichts dabei. Wieso auch? Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt schließlich schon jahrelang – vermutlich zum Selbstschutz – eingeredet, dass sich sowieso niemand für mich interessiert. Schon gar nicht das andere Geschlecht. Dass ich nie wirklich das Haus verließ und zudem noch in einem vergleichsweise hohen Alter im Kinderzimmer des Elternhauses saß, war der Sache ebenfalls nicht wirklich dienlich. Insofern nahm ich sie einfach nur als nette, gleichaltrige Kollegin war – die zudem, wie ich, Katzen liebte. Entsprechend dachte ich mir nichts weiter dabei, als sie vorschlug doch mal ins Kino zu gehen. Also nicht alleine, sondern zusammen mit ihrer Freundin und deren Partner. Ich nahm das Angebot dankend an. Neu in einer fremden Stadt und mir durchaus bewusst, dass ich mehr raus musste, ignorierte ich meine inneren Widerstände entsprechend. Ich setzte sogar noch einen drauf und schlug vor, dass wir doch auch mal zu einem Konzert im Staatstheater gehen könnten. Sie willigte ein und wir machten einen entsprechenden Plan.

Aus dem Kinobesuch mit ihrer Freundin wurde am Ende nichts. Unser erstes, privates Treffen war stattdessen besagtes Konzert. Nur sie und ich. Als romantische Verabredung verstand ich den Abend nicht. In meinen Augen war es einfach nur ein netter Ausflug mit Kollegen oder maximal Freunden. Ja, meine Naivität kannte keine Grenzen. Und dann ging ich auch noch in der Vorhalle einfach an ihr vorbei! In ihrem hübschen, dunkelvioletten Kleid war sie mir gar nicht aufgefallen. Übrigens war das Kleid etwas, was ich ihr versprechen musste niemals ihrer Mutter zu erzählen. Gebt ihr also auf keinen Fall diesen Text zum Lesen! Nach dem Konzert brachte ich sie mit meinem Auto nach Hause und nichts weiter passierte. Wie gesagt: Für mich war es einfach nur ein netter Abend und mehr nicht.

Ein paar Wochen später, am darauffolgenden Ostersonntag, geschah jedoch etwas, was mich bis heute selbst überrascht. Gläubigere Menschen würden jetzt sicherlich irgendwas faseln von “Die Auferstehung Jesu brachte mir die Erleuchtung!” oder so einen Blödsinn. Fakt ist: Irgendwas in mir gab mir endlich den notwendigen Tritt in den Hintern und setzte eine Maschinerie in Gang, deren Räder sich bislang noch nie gedreht hatten. Entsprechend heftig traf es mich ohne, dass ich es wirklich realisierte.

Doch wir müssen einen Schritt zurückgehen: Es war also Ostersonntag. Ich war Zuhause bei meinen Eltern. Die buckelige und nicht so buckelige Verwandtschaft war wie jedes Jahr zu Besuch. Das Mittagessen war verspeist worden und ich hatte mich in mein altes Zimmer zurückgezogen, um meine sozialen Batterien wieder aufzuladen. Dann bekam ich plötzlich eine MMS. Das an sich war schon ungewöhnlich. Ich bekam zu dem Zeitpunkt nie Nachrichten. Meine wenigen Freunde kommunizierten anderweitig mit mir. Von wem kam sie also dann? Nun, von ihr. Wegen dem Konzert hatte ich ihr meine private Handynummer gegeben. Jetzt hatte sie mir darüber einen Ostergruß geschickt. Ein Foto mit einer Blume, einem selbstgezeichneten Osterhasen und – ganz wichtig – der kleinen Katzenfigur, die ich ihr warum auch immer geschenkt hatte. Vermutlich wusste mein Inneres schon länger Bescheid und tat heimlich Dinge, um mich zu leiten aber nicht gleich zu überfordern.

In diesem Moment änderte sich das jedoch schlagartig. Diese vermeintlich simple Geste von ihr triggerte mich massiv. Ich erinnere mich noch, dass ich anfing zu zittern und sehr nervös wurde, als ich die Nachricht las. Und in einer erneut für mich äußerst untypischen Reaktion fasste ich den Entschluss direkt eine Verabredung mit ihr auszumachen. Eine kurze Internetrecherche brachte eine kleine Kunstausstellung im Prinz-Emil-Garten in Darmstadt hervor. Also rief ich sie an – erneut eine für mich außergewöhnliche Entscheidung -, aber sie ging nicht dran. Heute weiß ich, dass sie Angst hatte abzuheben. Anfangs erzählte sie mir noch, dass sie unterwegs gewesen wäre und das Handy nicht dabeigehabt hätte. Ich schrieb ihr also eine kurze SMS zurück mit dem Vorschlag am nächsten Tag zu dieser Ausstellung zu gehen. Sie willigte ein und ein kurzer Anruf von mir später (dieses Mal ging sie dran), war der Termin ausgemacht. Ich war total ekstatisch, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich verstand warum. Ich beendete darauf zügig meinen Besuch bei meinen Eltern und fuhr zurück in meine Wohnung in Büttelborn. Am nächsten Tag trafen wir uns vor ihrer Wohnung und gingen zusammen zum Park.

Meine erste Liebe (Aquarellzeichnung)

Der Park, und das ist nicht ganz unwichtig zu wissen, besteht aus einer Wiese auf einem Hang. Und oben auf dem Hügel steht ein kleines Schlösschen, in dem die Kunstausstellung sein sollte. Spoiler: Die Ausstellung haben wir am Ende nicht gefunden. Aber wir haben ehrlich gesagt nicht großartig danach gesucht. Stattdessen kamen wir oben mitten über der Wiese auf dem Hügel zum Halt. Den Blick in Richtung Stadt gerichtet. Und sie fing im Prinzip an wie auf einer Seifenkiste stehend ihr Leben vor mir und vielleicht der ganzen Welt auszubreiten. Ich weiß noch, dass mir das stellenweise etwas unangenehm und peinlich war. Obwohl es nicht der schönste oder sonnigste Tag war, waren wir mitnichten allein im Park. Speziell im Kopf geblieben ist mir mein verstohlener Blick hinter uns zu einem älteren Mann auf einer Parkbank.

Irgendwann machte sie dann doch mal eine Pause in ihrer Erzählung und wir versuchten etwas halbherzig die Ausstellung zu finden. Als das nicht gelang, gingen wir zurück zu ihr – und ich dieses Mal mit hoch in ihre Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits vollumfänglich um mich geschehen und ich ziemlich mit meinen Gefühlen überfordert. Wir redeten noch bis spät in die Nacht, bevor ich mich auf den Weg zurück in meine Wohnung machte.

Was die nächsten Tage folgte, war definitiv ein gutes Beispiel für die Phrase “Hals über Kopf verliebt”. Ich überschwemmte sie mit SMS und hatte gleichzeitig massive Angst irgendetwas falsch zu machen. Das wir uns weiter jeden Tag auf der Arbeit sahen und dort professionell sein mussten, half nicht gerade die Situation zu stabilisieren. Dass ich verliebt war, war mir aber immer noch nicht so richtig bewusst.

Wir hatten uns für Freitagabend zum Essen verabredet und ich war guter Dinge. Inspiriert von ihr, schrieb ich sogar endlich eine alte Kurzgeschichte zu Ende. Doch Freitag morgens hatte ich plötzlich eine Mail von ihr im Postfach. Es wäre ihr alles zu viel und sie wäre überfordert, stand darin. Ich sage euch, es waren quälend lange Stunden an diesem Tag auf der Arbeit. Wir saßen keine drei Meter von einander entfernt und doch fühlte es sich an als ob ein Ozean zwischen uns lag, weil ich nicht mit ihr darüber reden konnte. Und dann machten die beiden anderen Arbeitskollegen im Zimmer auch noch an diesem Tag länger! Ich war echt ein emotionales Wrack am Ende. Doch am späten Nachmittag (~17 Uhr) war es endlich soweit: Wir waren allein und ich konnte die Mail ansprechen.

Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Aber es waren scheinbar die richtigen Worte und die korrekte Geste. Die Verabredung am Abend (18 Uhr…) blieb bestehen, wir redeten anschließend noch bis 3 Uhr in ihrer Wohnung und, weil ich meine eigene Fahrtüchtigkeit aufgrund meiner Müdigkeit in Frage stellte, übernachtete ich auch zum 1. Mal bei ihr.

Und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Die Geschichte meiner ersten und bislang einzigen Liebe.

Eine Erinnerung, an die ich mich gerne zurückerinnere.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Rück- und Vorderseite meines kleinen Büchleins

Wer es noch nicht gemerkt hat: Die letzten Tage (und noch bis kommenden Donnerstag) sind etwas ungewöhnliche Einträge auf Beim Christoph erschienen. Das “Warum” steht jeweils direkt darunter: Ich war vergangene Woche auf meinem 2. Bildungsurlaub in diesem Jahr. Damit habe ich auch endlich meine Lücke von 2021 geschlossen :smile: . Zur Erinnerung: Ihr könnt euren Anspruch auf Bildungsurlaub ins nächste Jahr übertragen, wenn ihr es nicht schafft ihn zu nehmen. Müsst das nur immer gegenüber eurer Führungskraft klar kommunizieren. Und nein, ihr könnt nicht beliebig viele Wochen verschieben und ansammeln. Es geht immer nur der vom Vorjahr. Nehmt ihr ihn dann immer noch nicht, verfällt der Anspruch gänzlich.

Doch zurück zu letzter Woche: Ich war auf dem Bildungsurlaub namens “Autobiografisches Gestalten und Schreiben” von Susanna Willms. Es war das erste Mal, dass sie diesen Kurs angeboten hat. Mit dabei waren noch sieben andere Interessierte. Und ja, die meisten davon Frauen 40+. Aber ich gehöre ja mittlerweile ebenfalls zu dieser Altersgruppe – insofern passt das schon :wink: . Ich schrieb Lysanda sogar grad eine SMS von wegen “bin wohl mal wieder der Hahn im Korb”, als dann doch noch ein weiterer junger Herr auftauchte (ja, ich war mal nicht der Jüngste!) und die Männerquote verdoppelte. Warum nutzen die so wenig die Gelegenheit einen Bildungsurlaub zu machen?! Oder suche ich mir immer die nicht so “männlichen” Angebote raus? Egal. Interessant klang der Kurs für mich vor allem wegen dem Fokus auf das “Schreiben”. Das tue ich ja bekanntlich viel und auch durchaus gerne über mein Leben. Insofern habe ich gar nicht lange überlegt und mich angemeldet.

Der Inhalt

Wie der Name schon andeutet, geht es darum die eigene Lebensgeschichte zu verarbeiten. Die Idee der Dozentin war uns jeden Tag ein Thema zu geben und dies dann sowohl schriftlich als auch gestalterisch festzuhalten. Das klappte am Ende nicht ganz, weil wir an einem Tag ein wenig den Rahmen sprengten. Aber dazu gleich mehr. Den Anfang jeden Tages bildete nämlich erst einmal der Tages-Impuls. Das waren 10 Minuten freies Schreiben. Was die anderen dabei so verfasst haben, weiß ich nicht. Es wurde nämlich im Gegensatz zu den anderen Texten nicht vorgelesen. Entsprechend kann ich nicht sagen, ob ich die Aufgabe technisch gesehen falsch verstanden hatte und man eigentlich eher sowas wie einen Tagebucheintrag texten sollte. Korrigiert hat mich aber auch keiner, da ich zumindest drei meiner Impulse dann doch vortrug.

Den von Tag 2, weil ich (selbstverständlich) meine Webseite erwähnte und dieser Text dann am nächsten Morgen kurz zum Thema wurde. Außerdem noch die Impulse von Tag 4 und Tag 5, da ich diese mit dem Tagesthema im Hinterkopf verfasst hatte. Entsprechend las ich sie vor meinem eigentlichen Text – quasi wie eine Ouvertüre zur Einstimmung. Und ja, die Jungspunde unter euch wissen vermutlich gar nicht mehr was eine Ouvertüre ist. Wenn in einem Film nicht innerhalb der ersten 60 Sekunden einer erschossen wird, dann verlässt man schließlich heutzutage direkt das Kino.

Doch ich schweife ab: Nach dem Impuls ging es relativ zügig zum Tagesthema über. Tatsächlich bestand der Bildungsurlaub aus extrem wenig Theorie. Das fand ich allerdings nicht weiter schlimm. Gab‘ in dem Sinne ja auch nicht viel zu sagen abseits von “Schreib über dich!”. Stattdessen lebte er zum einen vom eigenen Tun und zum anderen vom gemeinsamen Erlebnis sowie ein bisschen Feedback. Schließlich hat jeder eine andere Geschichte zu erzählen. Entsprechend war es ein Privileg sie zu hören und darüber sprechen zu können.

Tag 1

Portrait meiner Eltern

Es fing am ersten Tag relativ leicht an. Zuerst sollten wir unsere Eltern malen. Als Inspiration gab uns die Dozentin irgendein Gemälde eines bekannten Künstlers. Entschuldigt, wenn ich mir das nicht gemerkt habe. Es sah für mich ziemlich doof aus. Bei mir entstand daraus dann das Kunstwerk, das ihr auf der linken Seite sehen könnt. Wer meine Eltern kennt, kann sicherlich Ähnlichkeiten erkennen. Zumindest finde ich, dass ich vor allem Mutter sehr gut getroffen habe. Meine Kunst bezeichnete ich übrigens zur Erheiterung der Runde als “kindlicher Post-Modernismus”. War definitiv der Unbegabteste, was das Zeichnen anging. Die Bilder der anderen sahen viel besser aus :smile: .

Stichwort Nr. 2 war dann “Ein Sonntag mit der Familie”. Dazu schrieben wir den ersten längeren Text und lasen ihn uns gegenseitig vor. Für mich war das Vorlesen tatsächlich noch mehr als das Schreiben ein absolutes Highlight. Nicht nur, weil ich so neue Eindrücke aus den Leben der anderen erfahren konnte. Sondern auch, weil das Vorlesen nochmal die Möglichkeit gibt dem eigenen Text… ja, etwas mehr Leben einzuhauchen. Es ist definitiv eine Sache etwas einfach nur zu lesen und eine ganz andere, wenn einem der Autor seine Intentionen zusätzlich verbal rüberbringt. Das habe ich entsprechend durchaus genossen und ausgenutzt. Und zumindest gefühlt kam es auch gut in der Gruppe an, was ich da im Laufe der Woche fabriziert und wie ich es vorgelesen habe. Im Anschluss war die Aufgabe ein Wort-Art zu malen. Wir sollten uns zehn Wörter aus unserem Text suchen und damit dann ein Bild zeichnen. Meins fällt dabei in die Kategorie „wörtlich genommen“ – ich hab einfach versucht alle Begriffe irgendwie halbwegs sinnvoll angeordnet unterzubringen.

Tag 2 und 3

Das Thema an Tag 2 war die eigene Lebenslinie. Dazu sind wir zuerst in die nahegelegene Fasanerie gegangen. Allein auf uns gestellt war die Aufgabe unser Leben von heute an zurückzugehen bis zu unserer Geburt – und zwar in einer Spirale. Der Hintergedanke war natürlich uns unsere Zeit auf dieser Erde wieder ins Gedächtnis zu rufen, damit wir dann im Anschluss darüber schreiben konnten. Als Inspiration für das dazugehörige Bild gab es die Idee die Häuser zu malen, in denen man in seinem Leben schon gewohnt hat und diese quasi als Stationen für die dazugehörigen Ereignisse zu nutzen. Da mein Leben allerdings bislang ziemlich stationär ablief (vier Häuser – in zweien weniger als ein Jahr verbracht), habe ich mich stattdessen für eine klassische Lebenslinie entschieden. Und ja, es war eine bewusste Entscheidung meine Schreibarbeit (Webseite, Studium, GamersGlobal) sehr dominant in die Mitte zu setzen. Das war und ist für mich was sehr Wichtiges und Prägendes.

An diesem Punkt haben wir dann das Konzept der Dozentin etwas durcheinandergeworfen. Zumindest war es eigentlich nicht die Idee, dass jetzt jeder seine komplette Lebensgeschichte erzählt. Aber die erste Vorträgerin fing damit an und dann haben wir das halt bis zum Ende mehr (=die anderen) oder weniger (=ich) ausführlich durchgezogen. Das hat – verständlicherweise – den ganzen Mittwoch gedauert. Doch ehrlich gesagt empfand ich (und die anderen) das als äußerst wertvolle Erfahrung. Wie gesagt: Wo bekommt man sonst so einen tiefen Einblick in ein anderes Leben und mitunter auch eine andere Zeit (die älteste Dame war 71).

Tag 4 und 5

Viel Papier gebraucht in der Woche

Die Überschrift für den Donnerstag war die erste Liebe. Das ist bei mir bekanntlich auch die einzige – zumindest, wenn man es auf Menschen bezieht. Aber das ist ja nicht weiter tragisch. Stattdessen habe ich an diesem Tag meinen längsten Text des Bildungsurlaubs verfasst. Ihr könnt ihn ab morgen hier lesen. Dort erfahrt ihr erstmals, wie es mit Lysanda und mir anfing. Das hatte ich euch damals bei der „Enthüllung“ ja noch verschwiegen. Aber mittlerweile ist so viel Wasser den Main/Rhein/Mosel runtergeflossen, da kann ich ruhig das Geheimnis lüften. Mal abgesehen davon, dass ich den Text als wirklich gelungen ansehe. Kann jedoch nicht ausschließen, dass ich dahingehend ein wenig voreingenommen sein könnte :wink: . Zum Text wurde dann wieder ein Bild gemalt – dieses Mal mit Aquarellfarben. Ich habe die zentrale Szene aus meiner Erzählung dazu hergenommen. Ihr findet es ebenfalls im dazugehörigen Eintrag, wie auch alle anderen Bilder, die ich zu den jeweiligen Berichten angefertigt habe.

Am letzten Tag gab uns die Dozentin nach dem Impuls dann gleich drei Aufgaben:

  1. Schreibe eine Liste der Menschen, die mich gestärkt haben und die dazugehörige Ressource.
  2. Beantworte in Textform die Frage, wer davon mich am meisten geprägt hat.
  3. Bastele ein Büchlein entweder über den Bildungsurlaub oder über die eigene Zukunft.

Wie die meisten in der Gruppe, habe ich mich erst einmal ans Basteln gemacht. Auch, weil ich mir mit dem Erstellen der Liste extrem schwergetan habe. Mit dem Ergebnis, dass ich am Ende keine hatte. Und der dazugehörige Text (ab Mittwoch an dieser Stelle zu finden) ging mir tatsächlich ebenfalls nicht so locker flockig aus der Hand wie die vorherigen. Er wurde am Ende sogar der kürzeste Text der Woche (abseits der Impulse). Aber nach dem Vorlesen waren die Anwesenden durchaus ein wenig sprachlos ob meiner emotionalen Liebeserklärung an Lysanda. Insofern scheine ich was richtig gemacht zu haben.

Zum Büchlein habe ich hingegen gar nicht viel zu sagen. Ich habe den Bildungsurlaub als Thema genommen und mich einfach von den Bildern inspirieren lassen, die ich in den Illustrierten gefunden habe. Zumindest ich finde die ein oder andere Sache durchaus amüsant und habe viel geschmunzelt beim Basteln.

Und dann war der Bildungsurlaub leider auch schon wieder vorbei. Also zumindest nachdem wir noch ein letztes Elfchen zum Thema Bildungsurlaub geschrieben und eine finale Feedbackrunde gemacht hatten. Das war nämlich noch eine Sache, die wir zusätzlich zu den langen Texten schreiben durften: Ein kleines Gedicht. Und als Form war uns eben das Elfchen vorgegeben. Meine findet ihr ab Donnerstag dann hier. Ich weiß, ich bin absolut gemein :tongue: . Aber im Prinzip ist die Grundvorgabe schlicht und einfach ein Gedicht mit elf Wörtern zu schreiben.

Fazit

Über meinen Bildungsurlaub im April hatte ich geschrieben, dass es für mich der bislang beste war, den ich hatte. Nach dieser Woche bin ich mir da ehrlich gesagt nicht mehr ganz sicher. Das Autobiografische Gestalten und Schreiben war extrem kurzweilig (die Tage vergingen buchstäblich wie im Fluge) und hat mir sehr viel Spaß gemacht. Einfach so auf Basis eines Triggers handschriftlich aus meinem Leben zu erzählen, anschließend etwas dazu zu malen und beides dann auch noch vorzutragen war für mich schon durchaus was Besonders und ein schönes Erlebnis. Und dann waren wir (zum Glück) auch noch eine Gruppe voller gleichgesinnter. Keiner, der aus dem Rahmen fiel und uns in die Suppe spuckte. Stattdessen haben alle das Angebot der Dozentin dankend angenommen und sich der Sache hingegeben. Das schaffte eine angenehme Atmosphäre, in der auch jeder – ich inklusive – bereit war loszulassen und sich zu öffnen, egal wie emotional es teilweise wurde.

Zurück bleibt für mich somit zum einen der Wunsch diesen Bildungsurlaub irgendwann nochmal zu machen. Wobei die Dozentin sich leider aufgrund des Aufwands nicht ganz sicher ist, ob sie ihn nochmal durchführt. Zum anderen die Erkenntnis, dass es doch ein paar Sachen in meinem Leben gibt, über die es sich zu berichten lohnt. Ach, und die mich beflügelnde Befriedigung, dass ich durchaus gute und mitreißende Texte schreiben kann. Zumindest würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass das äußerst positive Feedback nicht Balsam auf meiner Seele gewesen wäre :smile: .

Da stand Sicarius also. Irgendwo in der Mitte der Fasanerie. Der Boden unter seinen Füßen bedeckt mit Herbstlaub. Über ihm die sich lichtenden Kronen der Bäume. Um ihn herum war Stille. Keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Nur der bitterkalte Wind, der durch den Wald blies und Sicarius frösteln ließ.

Die Aufgabe war auf dem Papier ganz simpel: Erinnere dich zurück an deinen Lebensweg. Gehe in einer Spirale von heute an zurück bis du zum Ursprung gelangst – deiner Geburt.

Schon bei der Aufgabenstellung kamen bei Sicarius viele Unsicherheiten hoch, die er mit ungestellten Fragen zu kaschieren versuchte. Beispielsweise ist unser Ursprung doch eigentlich nicht die Geburt. Stattdessen wird das, was wir sind, doch theoretisch viel früher geformt. Die Erinnerung der Mutter, des Vaters und der vielen Generationen vor uns sind uns mitunter nicht bewusst. Und doch begleiten und formen sie uns ein Leben lang, wenn wir nichts dagegen tun.

Doch zurück zu Sicarius, wie er dort einsam und allein mit seinen Gedanken auf der Lichtung stand. Er behauptet immer, er könne sich an Nichts erinnern. Und ja, er hat durch seine Schwierigkeiten. Die wichtige Information der liebenden Ehefrau am Mittagstisch, die am Abend schon wieder vergessen ist. Die Erinnerung an freudige Ereignisse in der letzten Woche – sein Gehirn scheint nicht gewillt oder in der Lage sich sowas zu merken. Vielleicht erscheint ihm das alles als Unwichtig. Aber, dass z.B. QUAKE III Arena von id Software am 2. Dezember 1999 auf den Markt kam – das weiß er immer noch und auf Abruf.

Und wenn man genauer nachfragt, fallen ihm dann doch wieder einige Sachen aus der Kindheit und Jugend ein. Ja, es mag nicht viel sein. Möglicherweise hat er tatsächlich vieles vergessen oder aus Selbstschutz verdrängt. Aber, dass da Nichts wäre, ist schlicht und einfach eine Lüge, die er sich und anderen erzählt. Vielleicht aus Angst, was dabei hochkommt?

Meine Lebenslinie

Panik stieg so langsam in Sicarius auf. Die Zeit lief ihm davon und er wusste, dass er im Anschluss an diese Übung etwas schreiben musste. Entsprechend brachte es nichts hier einfach nur zu stehen und abzuwarten. Also machte er endlich den ersten Schritt in die Spirale hinein. Es war ein ziemlich großer. Viele Jahre zurück zu seiner Hochzeit. Dann ein kleiner Schritt zum gemeinsamen Hauskauf. Gefolgt von der 1. Verabredung. Der Jobwechsel nach Darmstadt. Der Jobwechsel nach Nürnberg. Das große Projekt auf der Arbeit in Aschaffenburg.

Es waren viele kleine Schritte, die Sicarius da plötzlich ging. Die Zeit in der Redaktion von GamersGlobal. Das Journalismus-Fernstudium. Die Gründung der Webseite. Irgendwie waren da doch so einige Erinnerung, die da hochkamen. Interessanterweise aber wenige mit seinen Eltern, Geschwistern und der restlichen, buckligen Verwandtschaft. Stattdessen eher Meilensteine, die er aus seiner Sicht erreicht hat – oftmals mit der Unterstützung anderer. Das ist nämlich noch so ein Punkt. Er behauptet immer total allein zu sein. Die Realität ist aber, dass er nur selten wirklich allein war. Früher nicht so sehr geliebt und geboren, wie er sich das vielleicht gewünscht hätte. Aber alleine? Nicht wirklich.

Sicarius‘ Schritte in der Spirale wurden wieder etwas größer. Er sagt immer, dass sein Leben erst mit 21 Jahren begann. Als seine Geschwister und er endlich dem Vater die Stirn bieten konnten. Als er nach der Ausbildung endlich etwas fand, was ihm Spaß bereitete. Und er endlich die endlosen Jahre an der Schulbank hinter sich lassen konnte.

Davor ist ein ziemlich großes Loch. Erinnerungsfetzen, meist an keine schönen Ereignisse wie Mobbing in der Schule, die Situation Zuhause und dergleichen. Entsprechend schnell gestaltet sich Sicarius‘ weiterer Weg zur Mitte der Spirale. Allerdings kommt er nicht im Mittelpunkt zum Stehen. An seine Geburt kann er sich nämlich nicht erinnern. Und Erzählungen dazu kennt er ebenfalls nicht. Stattdessen endet seine Reise an seiner ersten Erinnerung, derer er sich selbst bewusst ist. Er war im Kindergarten. Es wurde gebastelt. Pappmaché-Hühner, die dann mit echten Federn beklebt wurden. Sicarius hat davon nur den Anfang erfahren, bevor er von seiner Mutter abgeholt und zu den Großeltern gebracht wurde. Die Federn hatten erstmals sein Asthma zum Vorschein gebracht.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

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