Zur visuellen Entwicklung von Computerspielen

 

Gastbeitrag von Azzkickr

Diskussion

 

Es ist schon verrückt: In Phasen von Klausuren, Hausarbeiten und Abschlussarbeiten läuft das Mysterium Mensch tatsächlich zur Hochform kreativen Denkens und geistiger Tätigkeit im Allgemeinen auf. Paradoxerweise - und das ist beileibe kein Einzelfall - nicht, um jene, eben kurz skizzierten Ziele schnellstmöglich und in zufrieden stellender Qualität zu absolvieren, nein, im Gegenteil: es werden Mittel und Wege gesucht - wie aufwändig und abwegig sie auch sein mögen - um der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu entfliehen.
Im vorliegenden Falle ist dieser Umstand besonders interessant: Der Ihnen vorliegende Artikel hätte ohne Weiteres - wenn sich meiner Einer selbst nicht gezügelt hätte - den Umfang und die Qualität einer (universitären) Hausarbeit erreichen können.

Warum macht sich ein Mensch nun die Mühe, zukünftige Entwicklungen eines technischen Bereichs zu beschreiben, wenn über deren angestrebter, endgültiger Erscheinungsform bereits ein hohes Maß an Konsens zwischen den entsprechenden Benutzern herrscht? Wäre es nicht viel bequemer zu sagen: "Am Ende steht das Holodeck"? Nun, bequemer vielleicht. Womöglich sogar zutreffend. Aber auch zu leichtsinnig. Und wissenschaftlich korrekt schon gar nicht. Vor Allem: es wäre langweilig!

Keine Angst, es soll im Folgenden nicht darum gehen einen, auf wissenschaftlichen Quellen und empirischen Daten fundierten Beitrag über die zukünftige visuelle Entwicklung von Computerspiele zu geben, nein, im Gegenteil(1): was folgt ist "lediglich" eine subjektive Prognose der technischen Fortschritte im Bereich der Grafik von Computerspielen in den nächsten Jahrzehnten - zur besseren Übersicht unterteilt in vier kleinere Zeitfenster.
1) Zur aktuellen Situation

Als Computerspieler "der ersten Stunde" - ein Umstand, auf den man nebenbei erwähnt sehr stolz sein darf - ist es sehr beeindruckend zu sehen, in welche Dimensionen die optische Qualität unserer "Leidenschaft" vorgedrungen ist. Dabei sei nicht nur die Komplexität des Dargestellten gemeint(2), man darf das Wort "Dimension" ruhig auch wörtlich nehmen.

Die wohl wichtigste Entwicklung der letzten 25 Jahre ist - neben der kontinuierlich verbesserten Qualität von Texturen und Animationen - der Sprung vom Zweidimensionalen in das Dreidimensionale. Ein Prozess, der zudem noch lange nicht am Ende angelangt ist (siehe Punkt 3). Es ist über alle Maße imponierend, und für den Laien gar unvorstellbar, wenn man sich die optische Qualität aktueller Vorreiter-Spiele, allen voran Crysis, anschaut. Die Illusion, man befinde sich in einer anderen Welt ist - unter Annahme man verfügt über die notwendigen technischen Komponenten - beinahe perfekt. Aber eben nur beinahe.

Zeigte man heute einer vor 100 Jahren verstorbenen Person, was gegenwärtig technisch machbar ist - und seien es auch nur kleinste alltägliche Dinge, die unser Einer als selbstverständlich betrachtet -, jene Person wäre zutiefst beeindruckt und womöglich gar verängstigt. Im schlimmsten Falle würden wir als Ketzer oder Betrüger angeklagt.

Hätte man den Menschen von vor 25 Jahren gesagt, welche Formen einst das Computerspiel annehmen wird - man hätte uns als verrückt erklärt und ignoriert. Und das obwohl selbst wir - heute, im Jahre 2008 - nach wie vor erst am Beginn einer Entwicklung stehen, deren zukünftige Ausprägung wir vermutlich nicht für möglich halten werden.

Ist das eingangs erwähnte Holodeck vielleicht doch nicht das Ende der Fahnenstange? Es wäre nur logisch und würde sich in das eben erläuterte Bild einfügen: Die Menschen damals konnten nicht ahnen, was auf sie zukommen wird - warum sollten wir es dann können?
Das tatsächlich Eintretende übertraf in aller Regel das maximal Vorstellbare.

2) Entwicklungen bis 2015

Aber langsam. Konzentrieren wir uns vorerst auf das, was zumindest einigermaßen vorherzusehen ist - die kurzfristigen Entwicklungen bis zum Jahre 2015.

Dass alles schöner und realistischer wird, kann man als gegebene Tatsache verstehen. Die Frage aber ist, in welcher Form optischer Verbesserungen diese angestrebte, perfektionierte Schönheit und Realität aktuell zur Geltung kommt. Schauen wir hierfür nochmals kurz zurück und vergleichen Spiele der Mitte-neunziger mit jenen der Gegenwart.

Damals war der Sprung in das Dreidimensionale gerade erreicht(3). Ein Meilenstein wurde gesetzt, der bis heute von enormer Bedeutung ist und an welchem auch heute nicht mehr gerüttelt wird. Der Trend von damals hat sich mittlerweile zur Selbstverständlichkeit gemausert, auf welcher man sich gemächlich ausruht. Das eigentliche Prinzip von Spielen, nämlich auf einer dreidimensionalen Welt zu basieren ist also nach wie vor das gleiche.

Die auf den ersten Blick ersichtlichen Unterschiede liegen woanders: es wird seit mehr als einem Jahrzehnt versucht, das dreidimensionale Prinzip bis an die Grenze des Möglichen auszureizen. Anders gesagt: die Qualität der Grafik wird beständig verbessert, ohne an deren Funktionsprinzip und Fundament zu rütteln - es handelt sich um die Texturen, die Animationen und die, in der Spielwelt vorhandenen Details, die im Fokus des Interesse stehen.

Eine moderne, richtungweisende Grafikengine zeichnet sich dadurch aus, dass sie selbst kleinste Hautporen (hochauflösende, technisch verbesserte Texturen), realistische Vegetation (vergrößertes Detailreichtum) und glaubhaft wirkende Bewegungsabläufe darstellen kann.

Die Entwicklungen auf diesem Gebiet gehen aktuell sehr zügig voran. Eine fortschrittliche Grafikengine hat eine Halbwertszeit von etwa 4 Jahren (Tendenz fallend), bis sie von ihrer Nachfolgerin auf das Abstellgleis befördert wird. Meine Prognose bis zum Jahre 2015 lautet also wie folgt:

Bis zum Jahre 2015 werden sich die Entwickler darauf beschränken, dass bisher bekannte Prinzip "3D" auszureizen und in seiner Darstellungsqualität zu verbessern. Höher aufgelöste, mit neuen Techniken verbesserte Texturen, enormer Detailreichtum und (unglaublich) glaubhafte Animationsabläufe stehen ganz oben auf der Wunschliste.
Diese Liste wird bis spätestens 2015 abgearbeitet sein. Ab dann gilt es, sich anderen Bereich zuzuwenden.

3) Entwicklungen von 2015-2025

Geht man davon aus, dass sich Programmierer eines Computerspiels auch in Zukunft primär auf die Optik konzentrieren und dafür andere Bereiche des Projekts, wie etwa die Künstliche Intelligenz, das Leveldesign oder die Benutzerführung unterordnen, so wird sich in spätestens 7 Jahren ein Problem herausstellen. Tritt man nicht künstliche auf die "Entwicklungsbremse", so wird man zu jenem Zeitpunkt das Ende der Fahnenstange erreicht haben.

Aber alleine die Gesetze des Markts sagen uns, dass man kreativ wird, wenn es um neue Möglichkeiten geht, Geld zu verdienen, spezieller: neue Kaufargumente für das eigene Produkt zu schaffen. Es wird im übertragenen Sinne die Fahnenstange gewechselt werden.

Nachdem bereits in den 90er-Jahren diverse zukunftsweisende Technologien sang- und klanglos untergingen, beispielhaft für den visuellen Sektor seien hier die 3D-Brillen und Virtual-Reality-Helme genannt, ist mit einer Wiederkehr eben jener nicht unbedingt zu rechnen. Etwas Neues muss her.

Am Aussterben? Das Interesse an 3D-Brillen lässt nach. Zudem sind die visuellen Eindrücke stark begrenzt.

 

Dieses "Neue" befindet sich bereits seit geraumer Zeit in Entwicklung. Selbstverständlich gegenwärtig noch fernab eines Serienstatus - gar nicht erst zu reden von der Verfügbarkeit zu humanen Preisen. Wovon ich rede ist die logische Weiterentwicklung der dreidimensionalen Welten, wie wir sie aus aktuellen Computerspielen kennen.

Streng genommen sind jene Welten in ihrer Form der Präsentation gar nicht dreidimensional - immerhin werden sie auf einer einzigen, räumlich stark begrenzten, zweidimensionalen Fläche (dem Monitor, der Leinwand) präsentiert. Um in einem Spiel herauszufinden, was sich hinter uns befindet müssen wir uns umdrehen, obwohl sich hinter uns (rein technisch) eigentlich nichts befindet. Dass, was wir nach dem Umdrehen vorfinden, ist lediglich ein weiteres Bild, welches uns das Vorhandensein einer dreidimensionalen Welt eher suboptimal vermittelt.

Ansätze, diesen Flaschenhals zu beseitigen gibt es selbstredend schon länger. Allen voran seien hier im Unterhaltungssektor die "3D-Kinos" genannt, deren Versuch, eine Bildfläche zu erzeugen, die den ganzen Menschen umfasst, bereits anerkennend funktionieren - wenngleich sie noch sehr weit von dem idealen Zustand, der perfekten Illusion entfernt sind.

Konzentriert man sich auf den häuslichen, privaten Unterhaltungssektor, so findet man mit Ausnahme der stark begrenzten, wenig unterstützten und zudem sehr teuren Multimonitortechniken keine zufrieden stellende Alternative.

In meinen Augen wird eben dies in den Entwicklungsschwerpunkt der Spieleentwickler bzw. Spiele- und (im weiteren Sinne sicherlich auch der) Heimkinoindustrie rücken: Eine, den Betrachter komplett umfassende Bildfläche, die in der Lage ist, Spielwelten deutlich authentischer darzustellen. Im Zeitraum bis 2025 werden hierfür sicherlich nur die Grundlagen gelegt werden können - man beachte, dass zu dem "vorne" und "hinten" idealerweise noch das "oben" hinzukommt. Eine kostengünstige, für den Massenmarkt geeignete Technik, die zudem noch eine hohe Qualität garantiert, ist in den nächsten 18 Jahren kaum umsetzbar - von den notwendigen Grafikengines und der Rechenleistung der Computer ganz zu schweigen. Aber der Trend wird sich verfestigen. Erste Anzeichen hierfür sind bereits zu erkennen: Biegsame Monitore und seitlich gekurvte Kinoleinwände für den Privathaushalt - beides Innovationen die die Testphase bereits absolviert haben und zumindest in Kleinserie produziert werden.(4)

Biegsames OLED-Display von SonyDie Tatsache, dass parallel zu diesen Entwicklungen, die Anstrebungen nach einer Lösung per 3D-Brille bzw. eines Virtual-Reality-Helms relativ ins Abseits geraten sind, lassen jene Prognose zu, auch wenn sie im Kontrast zu der Annahme steht, in Zukunft seien technische Geräte zunehmend kleiner und kompakter bei gleichzeitig drastischer Erhöhung der Leistungsfähigkeit.

4) Entwicklungen nach 2025

Es ist bereits schwer vorstellbar, dass es in mittelfristiger Zukunft zum Standard gehören könnte, dass jeder Spieleinteressierte eine "Gerätschaft" zu Hause hat, die die Ausmaße heutiger Computersysteme deutlich übertreffen dürfte. Abgesehen davon, dass es aus heutiger Perspektive wahnsinnig teuer sein erscheint - kostet doch schon ein 30-Zoll Monitor ein kleines Vermögen. Aber über den historischen Zusammenhang von Vorstellungskraft des Menschen und des tatsächlich Eingetretenen wurde bereits diskutiert. Es darf also weiter geträumt werden.

Nun, hier gelangt man jetzt endgültig in den Bereich der wagen Vermutungen, die irgendwo zwischen "unvorstellbar" und "verrückt" ihren Platz einnehmen. War es bislang logisch, in einem ersten Schritt das bisherige Prinzip, visuelle Inhalte auf einer einzigen, planen Bildfläche zu perfektionieren, und danach in einem zweiten Schritt die Beschränkung jenes bekannten Darstellungsverfahren aufzuheben und durch ein, den Benutzer gänzlich umschließendes, planes Darstellungssystem abzulösen - selbstredend auf dem selben qualitativem Niveau, wie man es 2015 von der "alten" Technik gewohnt sein wird -, so stellt sich nun die Frage, was folgen soll, wenn sowohl die Möglichkeiten zur Verbesserung der Qualität innerhalb des jeweils gegenwärtigen Systems ausgereizt sind, als auch die Ideen für gänzlich neue Darstellungsmöglichkeiten ausgehen, oder in das Absurde abgleiten.
Was kommt - in visueller Hinsicht - nach dem "weiterentwickelten" Dreidimensionalen?

Behält man die bisherige Logik bei und folgt der Kette, so bleibt als letzte und einzige - gegenwärtig vorstellbare - Möglichkeit, aus dem "weiterentwickelten" Dreidimensionalen das "echte" Dreidimensionale zu konstruieren. "Also doch das Holodeck?". Nun, in gewisser Weise stellt die holographische Projektion in der Tat das letzte Glied in der Kette des gegenwärtig Vorstellbaren dar. Sie wäre die konsequente Fortführung des Prinzips der 360°-Darstellung. Durch die Holografie würde auch der Raum zwischen Leinwand und Betrachter mit Inhalt gefüllt und somit erstmal echtes 3D geschaffen werden - wenngleich mit dieser Technik just neue Probleme entstehen. Denn wenn man sich tatsächlich in einer virtuellen, projizierten 3D-Welt bewegt, ist diese nur authentisch, wenn die, sich in der Spielwelt befindenden Objekte auch anfassbar sind und über eine glaubwürdige Haptik verfügen. Ein - aus heutiger Sicht - unlösbares Problem, das allerdings nicht unter die Visualität fällt und somit an dieser Stelle nicht behandelt werden soll.

Überdies ist es für den menschlichen Geist im Jahre 2008 einfach nicht möglich, sich eine weitere Stufe, die über das "echte" Dreidimensionale hinausgeht, vorzustellen - und es wäre - wie bereits erwähnt - auch äußerst absurd zu behaupten, dass es auf visueller Ebene noch eine höhere Entwicklungsstufe gäbe. Schließlich würde dies bedeuten, dass es rein technisch machbar ist, etwas zu produzieren, was über die realen Funktionsweisen und Grenzen unserer Welt hinausgeht und damit jenseits aller bekannten Naturgesetze steht.

Es war, ist und bleibt dennoch - oder gerade deswegen - eine spannende Angelegenheit, sich Gedanken über die zukünftigen Fortschritte zu machen, egal, ob - wie im vorliegenden Falle - über die Grafik von Computerspielen, oder über andere (technische) Dinge.

Vor dem Hintergrund der historischen Tatsache, dass die wenigsten technischen Entwicklungen vorhersehbar waren und des Weiteren für überhaupt möglich gehalten wurden, fällt es auch schwer eine Grenze, oder ein Ende der Entwicklungsmöglichkeiten zu prognostizieren. Dies werde auch ich vermeiden. Alleine deswegen, weil es sich bei der vorliegenden Arbeit um keine wissenschaftliche, sondern um eine subjektive, spontan verfasste handelt und mir somit empirische Beweise für jedwede Aussagen fehlen.

Dennoch glaube ich, dass ich mein Ziel dieses Textes - die Leser zum Nachdenken anzuregen - erreicht haben sollte. Ebenfalls konnte ich erfolgreich der Bearbeitung meiner Hausarbeit entkommen :).[TP]

(1) hätte ich Wissenschaftler "spielen" wollen, hätte ich genauso gut meine Hausarbeit beginnen können
(2) Man vergleiche lediglich die ersten Gehversuche im Sinne von "Ping Pong" mit den überwältigenden Spielewelten, die aktuelle "Blockbuster-Spiele" bereitstellen.
(3) Als wohl populärster Vertreter der neuen Gattung der 3D-Spiele sei hier das 1996 erschienene "Quake" von id Software genannt.
(4) Biegsame Monitore: z.B. von LG.Philips oder Sony, gekurvte Leinwände: z.B. von Davision