Obwohl ich ganz klar ein Faible für Bücher über Videospiele und ihre Macher habe: Ich lese natürlich auch ab und zu mal gerne was „Normaleres”. Ganz aktuell die Werke des britischen Autors und ehemaligen MI5/MI6-Mitarbeiters John le Carré um den Geheimagenten George Smiley. Ihr erinnert euch vielleicht noch, dass mir die BBC-Miniserien mit Sir Alec Guinness von 1979 bzw. 1982 sehr gut gefallen hatten. Der Film von 2011 war nicht ganz so super. Er war aber tatsächlich jetzt der Auslöser, dass ich mir endlich mal die neun Bücher geholt und angefangen habe sie zu lesen.
Ich hatte das Werk von Tomas Alfredson vor kurzem nochmal mit Lysanda geschaut und musste feststellen, dass ich irgendwie 2013 etwas zu gutmütig zu ihm war. Beim erneuten Genuss war er tatsächlich ziemlich langweilig und ganz und gar nicht spannend oder empfehlenswert. Aber gut: Wir werden alle älter und weiser . Im Anschluss hatte ich auf jeden Fall große Lust endlich mal die Vorlage zu lesen und da ich bekanntlich keine halben Sachen mache, fing ich ganz vorne an. Der Film und die Serie basieren nämlich auf dem fünften (von neun) George-Smiley-Büchern.
Schatten von gestern (Call for the Dead; 1961; 222 Seiten) – Der erste Band und die Geburtsstunde von George Smiley. Passenderweise eingeleitet mit einem Lebenslauf, der seinen Lebensweg bis zum Beginn der eigentlichen Geschichte nachvollzieht. Ein kleiner, weniger ansehnlicher Mann, dessen Schneider ihn offensichtlich ausnutzt (seine Klamotten sind ihm zu groß). Er hat in Oxford studiert und ist ein Liebhaber eher unbekannter deutscher Poeten aus dem 17. Jahrhundert. Wie auch immer schaffte er es eine absolute Schönheit anzulachen. Die Ehe hielt jedoch nur kurz. Sie verließ ihn für einen berühmten Rennfahrer. Schon 1928 landet er beim britischen Geheimdienst und macht sich speziell im Krieg einen Namen.
Mittlerweile ist der zweite Weltkrieg ein paar Jahre her. Stattdessen tobt der Kalte Krieg und wie überall in der westlichen Welt hat man auch in England Angst vor den Russen/Kommunisten. Das Buch beginnt mit dem Selbstmord des MI6-Agenten Samuel Fennan. Smiley hatte ihn ein paar Tage zuvor einer Unterredung unterzogen, weil er aufgrund eines anonymen Briefs verdächtig wurde ein Doppelagent zu sein. Fennans Frau und sein Abschiedsbrief erwecken den Eindruck, dass es dieses Verhör war, was ihn über die Klippe springen ließ. Also wird Smiley auf Geheiß der Obrigkeit vom Dienst entlassen und die Geschichte ist zu Ende. War ein sehr kurzes Buch…
Nein, natürlich nicht. Wir wissen doch alle, dass in den besten Krimis der gute Polizist/Detektiv/was auch immer erst einmal von den lahmen/korrupten Beamten hintergangen wird und er erst auf sich gestellt anfängt den Fall zu lösen. Es beginnt die Suche nach der Wahrheit. Hat sich Fennan tatsächlich umgebracht, wegen Smileys Verhör oder steckt doch mehr dahinter?
Beim Christoph meint: Ein fulminanter Einstieg in die Saga. Volle und eine klare Leseempfehlung. Der Start mit dem Lebenslauf mag einem zuerst etwas komisch vorkommen, legt aber die Grundlage für ein äußerst spannendes Katz- und Mausspiel bei dem bis zum Schluss unklar ist wer gewinnt (=überlebt) und verliert (=stirbt) – inkl. einer Art Cliffhanger, der erst in Band 3 aufgelöst wird. Smiley ist ein äußerst komischer aber auf seine Art extrem intelligenter Kauz, der nicht immer alles richtig macht und auch vorbildlich nicht alleine arbeitet – also ganz und gar nicht dem James-Bond-Klischee entspricht. Aber das macht ihn so liebenswert. Le Carré erweckt ihn mit seiner für heutige Verhältnisse vielleicht etwas Altmodischen aber für diese Zeit absolut passenden Schreibe perfekt zum Leben und lässt mich als Leser von Anfang bis Ende mit ihm mitfiebern.
Ein Mord erster Klasse (A Murder of Quality; 1962; 186 Seiten) – Smiley hat es am Ende des 1. Bands abgelehnt in den Dienst seiner Majestät zurückzukehren. Stattdessen „genießt” er den frühen Ruhestand wie man es so als englischer Gentleman halt tut. Eines Tages kommt die Herausgeberin der kleinen Zeitschrift „Christliche Stimme”, Ailsa Brimley, auf ihn zu. Er kennt sie noch aus dem Krieg. Sie hat einen verstörenden Brief erhalten in dem die langjährige Leserin Stella Rode ihren Verdacht äußert, dass ihr Mann sie umbringen möchte. Ihr Ehemann ist Lehrer am Elite-College Carne, sie „nur” ein einfaches Mädchen vom Lande.
Und tatsächlich: Bevor es Smiley nach Carne schafft ist Ailsa bereits tot. Brutal zusammengeschlagen im Wintergarten ihres Hauses mit einem Stück Koax-Kabel, das ihr Mann als Anschauungsmaterial im Unterricht verwendet hat. Da braucht es keinen Smiley, um den Fall zu lösen. Es war eindeutig nicht der Gärtner, sondern der karrieresüchtige Ehemann, der sich von seiner so gar nicht in die Carne-Gesellschaft passende Frau zurückgehalten sah. Aber wer so denkt, hat vermutlich noch nie in seinem Leben einen Krimi konsumiert. Bis die Wahrheit ans Licht kommt hat Smiley stattdessen so einiges an Detektivarbeit zu leisten, was bei einer eingeschworenen Gesellschaft, wie es die Lehrer von Carne ist, nicht ganz so einfach ist.
Beim Christoph meint: Mit Agenten und Russen hat Ein Mord erster Klasse überhaupt nichts zu tun. Smiley ist einfach nur dabei, weil Le Carré eine ausgearbeitete Figur zur Verfügung hatte. Stattdessen erwartet euch ein klassischer Krimi, der das Genre nicht unbedingt neu erfindet. Der Autor hält sich größtenteils auf den bekannten Pfaden der typischen Leserablenkungen. Wir wissen natürlich alle, dass es am Ende anders kommt als erwartet und die eindeutigen Indizien gegen den Ehemann vermutlich nicht das sind, was sie scheinen.
Von mir gibt’s für den Roman . Die Geschichte ist erneut spannend und voller Wendungen sowohl für die Charaktere als auch die Leser trotz oder gerade, weil Le Carré einem das ein oder andere offensichtliche Ablenkungsmanöver hinwirft auf das selbst ein Blinder nicht hereinfallen würde. Aber natürlich hatte ich nach dem Agententhriller im ersten Band etwas anderes erwartet als einen „klassischen” Krimi. Das an sich wäre kein Problem aber gleichzeitig haben mich das Setting (ein Elite-College) und die dazugehörigen Akteure (hochnäsige Lehrer) nicht ganz so in den Bann gezogen. Verschlungen habe ich es trotzdem. Insofern…
Der Spion, der aus der Kälte kam (The Spy Who Came In from the Cold; 1963; 276 Seiten) – Es geht zurück zum Kalten Krieg – falls ihr es nicht schon anhand des Titels erraten habt. Allerdings hat der Roman sowas von überhaupt nichts mit George Smiley zu tun. Ja, er wird hier und da auf komische Art und Weise in eher unpassenden Nebensätzen erwähnt (so in der Art übernatürlicher Drahtzieher). Aber faktisch kommt er nicht darin vor. Das mag das Marketing extrem irreführend machen aber hat zum Glück keine negativen Auswirkungen auf die Qualität der erzählten Geschichte.
Es geht um den Lenker Alex Leamas. Zuständig für Ostdeutschland hat er in den vergangenen Monaten alle seine Agenten verloren. Sein Gegenspieler ist Hans-Dieter Mundt, einer der Drahtzieher aus dem ersten Buch (der erwähnte Cliffhanger) und ein hochrangiger Spion der Sowjetunion. Die Geschichte beginnt mit dem Tod des letzten Agenten an einem Grenzübergang von Ost nach West. Leamas wird nach London zurückbeordert und in den Innendienst gesteckt. Dort gefällt es ihm aber sowas von überhaupt nicht. Es geht rapide bergab mit ihm (wird Alkoholiker, lässt sich gehen, etc.) und er beendet in Ungnade gefallen seinen Dienst. Anschließend gerät er ins Visier der Ostdeutschen und wird zum Überläufer. Spoiler Tatsächlich ist Leamas aber immer noch für ihre Majestät unterwegs. Sein Überlaufen ist nur eine Farce, um an Mundt heranzukommen.
Beim Christoph meint: Le Carré schreibt im Vorwort meiner Ausgabe, dass er den Erfolg dieses Romans ein Stück falsch findet. Aus seiner Sicht hat er eine völlig fiktive Agentengeschichte geschrieben, die überhaupt nichts mit seiner eigenen Realität beim Geheimdienst zu tun hatte. Stattdessen waren die Kritiker alle begeistert und hielten sie für die absolute Wahrheit (schließlich war Le Carré ja auch Agent). Schnell wurde versucht die Charaktere und Situationen im Buch mit echten Vorkommnissen der damaligen Zeit über ein zu bringen. Und natürlich hat man viele Parallelen gefunden. Aber auch wenn es Le Carré stört, spricht das gerade für sein Werk. Es erfüllt die Leserfantasien. So stellt man sich das Agentenleben als Normalbürger vor, der sowas nur aus Unterhaltungsmedien kennt.
Das Ergebnis ist ein vielleicht nicht akkurates Abbild der Zeit aber dafür ein extrem spannender Agententhriller. Zuerst die Frage, ob Leamas tatsächlich zum Überläufer wird und dann, ob er die zahlreichen Verhöre meistern und sein Ziel Mundt endgültig auszuschalten erreichen wird. Das Finale ist der helle Wahnsinn und überhaupt nicht das, was ich erwartet hätte. Entsprechend gibt es von mir wieder volle . Statt mit viel Action, hält einen Der Spion, der aus der Kälte kam mit psychologischen Spielchen bei der Stange. Jede Sekunde fiebert man mit und will wissen, wie es weitergeht. Ein wirklich geniales Werk und im direkten Vergleich sogar nochmal besser als Schatten von gestern.
Krieg im Spiegel (The Looking Glass War; 1965; 319 Seiten) – Le Carré Reaktion auf die Kritiken des Vorgängerbands – mit entsprechendem Ergebnis. Statt Fiktion jetzt Geheimdienstrealität (mit erfundenen Figuren natürlich). Englische Kritiker und Leser fanden es überhaupt nicht gut. Nur ausländische Geheimdienste freuten sich, weil es ihre Sicht auf den britischen Geheimdienst ziemlich genau wiedergab.
Im Vergleich zu Band 3 kommt George Smiley wieder etwas öfter vor, bleibt aber dennoch eine nutzlose Randfigur, die besserwisserisch nervig daherkommt. Keine Ahnung warum. Sowieso wird der „Circus” (MI6) als ignorant und „sich für was besser haltendes” dargestellt. Die Hauptfiguren arbeiten stattdessen bei einem anderen Arm des britischen Geheimdienstes, der sich um militärische Ziele kümmert. Und ein solches soll sich gerade in Ostdeutschland aufgetan haben: Eine geheime russische Raketenbasis in Kalkstadt. Der Kurier mit den dazugehörigen Luftaufnahmen wurde (vermutlich) ermordet. Nun gilt es auf anderem Wege herauszufinden, ob an den Gerüchten was dran ist.
Die Raketenbasis dient aber lediglich als Aufhänger für Le Carré auf mehr als 300 Seiten eine sicherlich realistische aber völlig langweilige Geschichte rund um eine veraltete Truppe zu erzählen, die sich verzweifelt an ihre glorreichen Kriegszeiten klammert. Es geht um Spesen, Ressourcenverteilung, kaputte Ehen, komische Führungspersönlichkeiten, Ämterneid und das Training eines nun in England lebenden Polen, der zu Kriegszeiten bereits für den englischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Die Aufgabe: Ihn fit dafür zu machen über die Grenze zu gehen und diese Raketenbasis zu bestätigen oder auch nicht. Und ums gleich zu verraten: Der Übertritt findet fünf Kapitel vor Ende des Buchs statt (insgesamt 23) und wird entsprechend schneller abgehandelt als ein Besuch auf dem Klo. Der Großteil der Erzählung sind wir stattdessen in einem Haus in Oxford in dem der Pole Leiser das Training erhält. Welche Methoden werden angewandt, wie wird er manipuliert, wie macht er sich und derlei Kram.
Beim Christoph meint: … Ja, ich stimme den damaligen Kritikern zu. Das Buch mag zwar höchst realistisch sein und zeigen, wie der britische Geheimdienst (und vermutlich viele andere) in den 50igern/60igern funktioniert hat. Aber ein guter Roman/Krimi/Thriller sieht definitiv anders aus. Keiner der Charaktere ist auch nur ansatzweise interessant und das ganze Drumherum ist mir sowas von völlig egal. Was interessiert mich wie schwer es ist der Witwe eines Agenten vom Schatzamt eine Pension zukommen zu lassen? Was bringt es mir zu wissen, dass der Nahkampftrainer 10 Schilling für seine Arbeit bekommen hat? Dass der Geheimdienst in einem heruntergekommenen Haus untergebracht ist? Und wie viele Autos jetzt die eine Klitsche zur Verfügung hat und die andere nicht?!
Dazu kommt noch, dass der Aufbau des Buchs häufig miserabel ist. Keine Ahnung ob das an der deutschen Übersetzung und dem dazugehörigen Layout liegt aber da wird fröhlich innerhalb eines Kapitels zwischen Orten und Personen hin- und hergesprungen und zwar oft ohne erkennbaren Zusammenhang und teilweise direkt im nächsten Satz – also ohne irgendeinen offensichtlichen Abstand. Als Leser bin ich dann erstmal total verwirrt wie das jetzt eigentlich mit dem vorherigen Satz zusammenpasst bis ich merke, dass sich hier ja zwei völlig andere Personen unterhalten. Gerne wird das mit Szenen aus dem Circus gemacht wo sich Control und George Smiley miteinander total verschwörerisch unterhalten (passt überhaupt nicht zum im 1. Band etablierten Charakter). Ne, Finger weg von diesem Werk. Mag sein, dass John le Carré damit seine persönliche Erfüllung fand aber das hätte er lieber als Fachbuch oder so niederschreiben sollen.
Und damit sind wir am Ende des heutigen Eintrags angekommen. Als nächstes liegt nun endlich Band 5, Dame, As, König, Spion, auf meinem Nachttisch. Mal schauen ob die Jagd nach Karla in schriftlicher Form ähnlich oder sogar noch spannender ist als auf dem Bildschirm. Ich werde euch sicherlich berichten. Was ich jetzt schon sagen kann: Ich habe es definitiv nicht bereut die ersten drei Bände vorher zu lesen. Speziell Schatten von gestern und Der Spion, der aus der Kälte kam sind wirklich erstklassig und ich hoffe, dass Le Carré auf dieser Grundlage im fünften Band aufbaut. Über Band 4 sprechen wir einfach nicht weiter.
PS: Alle vier Bände wurden verfilmt. Am berühmtesten ist wie die Vorlage Der Spion, der aus der Kälte kam mit Richard Burton von 1965, der sogar zwei Oscars erhielt. Muss ich mir wohl jetzt auch alle mal anschauen.