Ich “muss” noch ein letztes Mal das Buch Shareware Heroes* erwähnen. Grundsätzlich ein wirklich gelungenes Werk für jeden, der sich für das Thema interessiert. Müsste nur eindeutig länger sein. Die 300 Seiten reichen Autor Richard Moss definitiv nicht aus, was sich wie erwähnt beim Lesen leider sehr bemerkbar macht. Mir geht es heute jedoch um einen Gedanken von Moss, den er in der Koda aufwirft und der mir bislang noch nie so gekommen ist.
Die Shareware-Ären
Aus Sicht des Autors gab es bislang vier Shareware-Zeitalter. Das erste waren die Anfänge der “Anwender-unterstützten Software” in den unterschiedlichsten Ausprägungen aber im Kern vergleichbar mit Systemen wie dem heutigen Patreon. Das Ziel: Eine möglichst große Masse dazu bringen dem Autor Geld zu geben. Es war das dominante Modell bis Apogee Software 1987 die Bühne betrat und das nach ihnen benannte, zweite Zeitalter einläutete.
Die Idee von “The Apogee Model” war es die “Begware” (“Bitte unterstützt mich!”) und “Nagware” (“Bezahl‘ mich endlich!”) hinter sich zu lassen und stattdessen den Spielern mittels “Ich will mehr davon!” zum Kauf zu überreden. Bei Apogee hieß dies, dass sie ihre Spiele gerne in drei Teile teilten. Der erste wurde als Shareware verbreitet wie z.B. die erste Episode von Commander Keen oder Wolfenstein 3D. In sich vollständige Spiele aber wer danach Lust auf mehr hatte, musste in die Tasche greifen. Nicht nur für Apogee ein sehr erfolgreicher Schachzug, der noch bis Ende der 90iger Erfolg hatte (u.a. QUAKE und Duke Nukem 3D anno 1996) und viele Nachahmer fand.
So weit, so verständlich. Jetzt kommen wir aber so langsam zum interessanten Part. Viele Firmen fanden das Apogee Modell zwar spannend, sie hatten aber keine Lust darauf einen so großen Teil ihrer Spiele zu “verschenken” (Moss bezeichnet es als “Corporate Greed”). Gleichzeitig begann der Siegeszug der CD mit ihrem unfassbar großen Speicherplatz (im Vergleich zur Diskette) und das Internet wurde immer zugänglicher. Parallel fingen Spielemagazine häufiger an “Covermounts” (=inkludierte Disketten/CDs/DVDs) als Verkaufsargument zu benutzen und die mussten ja irgendwie gefüllt werden. Damit begann das dritte Zeitalter der Shareware: Die Demonstrations-Version, besser bekannt als Demo. Klingt im ersten Moment komisch aber es macht tatsächlich Sinn. Eine Demo ist ein kleiner/begrenzter Teil des Spiels, ist kostenlos und darf frei verbreitet werden. Und wer danach mehr will, muss bezahlen. Also ja, eigentlich nur Shareware mit einem anderen Namen und anderen Kaufmöglichkeiten am Ende.
Weg in die Moderne
Spätestens in den 2010ern hatte die Demo dann warum auch immer vor allem im AAA-Bereich plötzlich ausgedient. Ich gebe der siebten Konsolengeneration (Xbox 360, PlayStation 3) die Schuld ohne dafür irgendwelche Belege griffbereit zu haben, denn zumindest Microsoft bestand schon immer auf Demos auf ihrem Marktplatz. Aber trotzdem verschwand sie irgendwie. Und so richtig zurück ist sie bis heute nicht. Events wie Steam Next Fest mögen zwar einen anderen Eindruck vermitteln, aber das sind zu 90% Indie-Titel und in dem Bereich war die Demo nie wirklich weg. Kein Wunder, schließlich müssen die Jungs und Mädels ohne ein millionen-schweres Marketingbudget auskommen.
Gleichzeitig beginnt das bis heute andauernde, vierte Zeitalter der Shareware: “The Age of Free with an Asterix“, wie es Richard Moss bezeichnet. Ich würde es einfach “Free-2-Play” nennen. Sprich das Spiel ist kostenlos aber es will auf verschiedene Arten und Weisen deinen Geldbeutel leeren. Moss unterscheidet hier verschiedene Varianten von Werbeeinblendungen über Mikrotransaktionen bis hin zu DLC. Aber im Kern geht es weiterhin darum, dass ein Teil des Produkts kostenlos zur Verfügung gestellt wird und man für zusätzliche/weitere Inhalte bezahlen muss.
Die Überraschung
Free-2-Play als “Shareware” zu kategorisieren finde ich einen spannenden Ansatz. Mein erster Gedanke war, das als völliger Blödsinn abzutun. Hauptsächlich wegen dem namensgebenden Grundgedanken “teile die Software mit jedem”. Free-2-Play-Titel kann man heutzutage schließlich nicht mehr wirklich teilen im Sinne von “hier ist die Software, viel Spaß damit”. Sie sind stattdessen meist fest verbunden mit einer Ladenfront wie Steam, Google PlayStore und so weiter. Ich kann also höchstens nur noch Links austauschen. Aber bei genauerer Betrachtung ist das kein wirkliches Gegenargument. Ich empfehle schließlich immer noch meinen Freunden etwas. Nur das Medium ist anders. Und zu sagen, dass so viele Schwergewichte wie Fortnite mit extremen Marketingkampagnen mitmischen und es deshalb nicht in die Shareware-Kategorie fällt passt nicht wirklich. Auch Firmen wie Apogee haben damals nicht nur auf “Mund-zu-Mund”-Propaganda gesetzt. Und ja, Epic Games haben ihre Anfänge auch im Shareware-Bereich gehabt (damals noch als Epic MegaGames).
Also ja, mir fällt tatsächlich kein richtiges Gegenargument ein, warum Free-2-Play nicht eine moderne Art der Shareware sein soll. Die Kernpunkte sind schließlich vorhanden: Ich bekomme ein mehr oder weniger komplett kostenloses Spiel, kann es meinen Freunden weiterempfehlen und darf zur Unterstützung der Entwickler weitere Inhalte egal in welcher Form kaufen. Und besagter Entwickler versucht mich mehr oder weniger stark davon zu überzeugen ihm Geld zu geben. Das war in den 80igern so und hat sich bis heute nicht geändert. Nur der Name ist ein anderer.
Habe ich so noch nie drüber nachgedacht. Diese Erkenntnis macht die Free-2-Play-Praktiken so mancher Firmen logischerweise nicht erträglicher. Aber trotzdem ein interessanter Aspekt der zum Grübeln anregt. Vor allem darüber, was dann vielleicht irgendwann das fünfte Zeitalter der Shareware sein könnte. Ist überhaupt noch ein Schritt nach “komplettes Spiel kostenlos abseits von ein paar Bezahlschranken” möglich? Keine Ahnung. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass die Firmen sehr kreativ sein können, wenn es um das Erschließen von neuen Vertriebswegen und dem “Geld aus der Tasche ziehen” geht. Entsprechend steht die nächste Evolutionsstufe vermutlich eher unter dem Begriff “Cloud Gaming” und ich glaube, das kann selbst Richard Moss nicht mehr mit Shareware in Verbindung bringen .
PS: Shareware mit reduzierten Features wird übrigens “Crippleware” genannt im Unterschied z.B. zu einer 30-Tage-Testversion, bei der die Beschränkungen erst nach Ablauf der Zeit greifen.