Zwei Jahre ist es her, dass wir zuletzt über das Thema Ländersperren gesprochen haben. Und nein, an diesem Problem und den dazugehörigen Funktionalitäten hat sich grundsätzlich in dieser Zeit nichts geändert. Valve sieht sich weiterhin nicht verpflichtet für Steam die Portabilitätsverordnung umzusetzen und entweder stimmen die europäischen Verbraucherverbände dem zu oder das Thema „Videospiele” ist dort nicht so relevant, dass sich da jemand zu widersprechen traut. Das Aktivieren und Spielen eines billigen Keys aus dem europäischen Ostblock bleibt also weiterhin ohne (laut Valve verbotene) VPN-Nutzung unmöglich, wenn es der jeweilige Publisher so möchte.
Im damaligen Eintrag hatte ich jedoch bereits über einen Hoffnungsschimmer am Horizont geschrieben, der völlig überraschend schon Anfang August 2018 von der USK in eine neue Praxis umgesetzt wurde: Die Berücksichtigung der Sozialadäquanz bei Altersfreigaben.
Klingt erstmal komisch, meint aber, dass die USK ab sofort auch die Ausnahme gemäß §86a (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) Absatz 3 für die Beurteilung von Videospielen in Betracht zieht. Dieser Absatz 3 verweist auf die Absätze 3 und 4 des §86 (ich liebe die vielen Rückverweise in unseren Gesetzbüchern). Dort steht, dass §86 Absatz 1 (das Verbot) nicht gilt, wenn das Propagandamittel […] der Kunst […] oder ähnlichen Zwecken dient. Und das Videospiele Kunst sind, wurde – trotz der Weigerung so einiger Politiker und Gewerkschaftler das einzusehen – mittlerweile ja mehrfach bestätigt. Ziemlich genau ein Jahr später wurde diese Praxis dann auch offiziell als Abschnitt 5 in die Leitkriterien der USK für die Prüfung von Computer- und Videospielen aufgenommen. Für unseren Spielealltag hatte diese Entscheidung mehrere Konsequenzen:
Der Freispruch des Urvaters
Wolfenstein 3D wurde 1994 tatsächlich nicht wegen der Symbolik indiziert und beschlagnahmt, sondern wegen seiner Gewaltverherrlichung. Das Prüfgremium der BPjS hielt sich damals sinngemäß nicht im Stande einzuschätzen welche Wirkung die Verwendung der Symbole hatte. Auch die dazugehörige Beschlagnahmung fußte nach meinen Recherchen nicht auf §86 StGB, sondern auf der besonderen Jugendgefährdung durch die Darstellung von Selbstjustiz & Co. und wäre 2004 technisch gesehen automatisch ausgelaufen. Erst das Urteil von 1998 zum Fall eines Versandhändlers, der Wolfenstein 3D vertrieb, erfolgte auf Basis von §86a StGB. Dieses Urteil wurde dann im September 2019 aufgehoben und anschließend, im Oktober 2019, der Titel sowie Spear of Destiny (das tatsächlich 1999 nur indiziert aber nie beschlagnahmt wurde) von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien konsequent vom Index gestrichen. Allerdings – und das ist nicht ganz unwichtig – haben beide Werke bislang trotzdem keine USK-Freigabe erhalten! Sie sind also theoretisch weiterhin Indizierungsgefährdet und stehen vermutlich deshalb im deutschen Steam-Store immer noch nicht zur Verfügung. Unwahrscheinlich, dass es jetzt nochmal passiert aber das Recht erlaubt es. So eine USK-Freigabe ist ja auch kein Automatismus. Sie muss angefordert (und bezahlt!) werden. Die Entwicklungen bei DOOM (alle mittlerweile vom Index gestrichen) machen aber Hoffnung, dass Bethesda/Zenimax vielleicht im Zuge eines Re-Releases zusammen mit Wolfenstein III eine USK-Freigabe zumindest für Wolfenstein 3D anstreben wird. Vermutlich aber eher für Return to Castle Wolfenstein oder Wolfenstein.
Was das nun mit der Entscheidung der USK ein Jahr zu vor zu tun hat? Keine Ahnung. Die USK hat nie gesagt, weshalb sie plötzlich auf den Trichter gekommen sind ihr Prüfverfahren zu ändern. Es gibt nur Indizien wie die Aussage der Staatsanwaltschaft zum Titel Bundes Fighter II Turbo. Aber ohne diese Anpassung und des daraus entstanden Umdenkens, hätte vermutlich auch Wolfenstein 3D keine Chancen gehabt.
Gleichzeitig war das Urteil von 1998 der Hauptgrund – und das ist absolut keine Übertreibung – an diesem ganzen Schlamassel. Hätte es das damals nicht gegeben, wäre in der deutschen Spielelandschaft sicherlich trotzdem noch fleißig zensiert worden – es war durchaus ein langer Weg bis so viel Gewaltdarstellung wie heute einfach mit einem “ab 18 Jahren” akzeptiert wurde und selbst ein Eintrag auf Liste A ist ähnlich wie das “AO”-Rating der ESRB in Amerika ein Todesurteil für den Vertrieb auf dem deutschen Markt, das muss nicht mal auf Liste B (aus BPjM-Sicht strafrechtlich relevant) landen. Aber spätestens als in den 2000er die ersten Instanzen anfingen Spiele als Kunst anzusehen, wären die Publisher zusammen mit der USK bestimmt aktiver an das ganze Thema herangegangen – nicht nur in Bezug auf Hakenkreuze. So eine zensierte Version ist schließlich nicht ganz billig. Stattdessen hing jedoch das Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts wie ein Damoklesschwert über allem. Übrigens auch den Spielemagazinen, die in den 90igern aus Angst davor, dass ihr Artikel als Werbung für böse Spiele gelten z.B. statt „Quake” nur „Beben” schrieben und so Kram. Im Nachhinein betrachtet total Banane aber nur wegen so einem Wort zu riskieren, dass die gesamte Monatsauflage beschlagnahmt wird wollte logischerweise kein Verlag. Andererseits: Besser spät als nie. Theoretisch wäre Wolfenstein 3D dann auch schon automatisch im Dezember 2018 (eine Indizierung verfällt nach 25 Jahren) vom Index gefallen. Zu diesem Zeitpunkt war das Urteil aber formal noch nicht aufgehoben und der Titel weiter beschlagnahmt, weshalb es folgeindiziert werden musste.
Der zweite Urvater
18 Jahre nach dem Release können wir uns also endlich frei über die Urväter des Ego-Shooter-Genres Wolfenstein 3D und Spear of Destiny unterhalten. Das erlaubt es mir auch mal klar zu stellen, dass Spear of Destiny kein Addon zu Wolfenstein 3D ist! Das sagt doch schon der Name: Es heißt nicht Wolfenstein 3D: Spear of Destiny, sondern nur Spear of Destiny. Je nach Region steht auf der Originalpackung noch “A Wolfenstein (3D Graphics) Adventure”. Das war’s aber schon. Es geht mir sowas von auf den Keks, dass das so viele Leute immer und immer wieder falsch schreiben in ihren Rückblicken…
Nein, Spear of Destiny ist tatsächlich ein komplettes und allein lauffähiges Prequel zu Wolfenstein 3D mit zwei eigenen Addons (damals noch “Mission Disks” genannt). Dort versucht ihr als William “B.J.” Blazkowicz den Nazis diverse sagenumwobene Artefakte zu stehlen. Klappt nicht immer, weshalb ihr am Anfang von Wolfenstein 3D im Schloss Wolfenstein gefangen seid. Die Addons stammen allerdings nicht mehr von id Software, sondern wurden von der Firma FormGen entwickelt und verkauft. Außerdem gibt es noch zwei kostenlose Fanspiele, Spear Resurrection und Spear End of Destiny, welche die Geschichte inoffiziell und auf Basis der gleichen Engine fortsetzen.
Persönlich habe ich Spear of Destiny tatsächlich noch nie durchgespielt. Nur Wolfenstein 3D ist vor langer Zeit Mal über meinen Bildschirm geflimmert. Damals zugegebenermaßen mit Hilfe einer Raubkopie, denn es durfte ja logischerweise nirgends verkauft werden. Aber wirklich verpasst hat man im Gegensatz zu DOOM aus meiner Sicht nichts. Das Spielprinzip ist dafür zu simpel und der Levelaufbau aufgrund seiner damals total hippen Labyrinth-Struktur nur nervig. Dazu kommt noch, dass die späteren Episoden (insgesamt sechs Stück) extrem unfair gestaltet sind. Wenig Munition, starke (Hitscan-)Gegner und noch verwinkeltere Gänge. Und nein, es macht keinen Spaß an jeder Wand die „Benutzen”-Taste drücken zu müssen, nur um ein Secret oder gar den weiteren Weg zu finden. Kein Wunder, dass vielen nur die erste Shareware-Episode in Erinnerung geblieben ist (Hitler ist erst der Boss von Episode 3).
Die modernen Ableger
Mir ist klar, dass nach Wolfenstein 3D und Spear of Destiny kein Hahn mehr kräht. Entsprechend ist die wichtigere Konsequenz der USK-Entscheidung selbstverständlich eine andere: Es gibt nun ausgewählte Spiele mit USK-Siegel (und nicht nur „ab 18 Jahren”!), die verfassungswidrige Propagandamittel enthalten und damit vor einer Indizierung und Beschlagnahmung geschützt sind. Das führte – wie erwartet – anfangs zu etwas Entrüstung bei speziell einer etwas älteren Generation von Leuten. Aber diese Sturmflut ist ziemlich schnell wieder abgeflaut. Andererseits ist die USK natürlich auch darauf bedacht zu betonen, dass jetzt nicht einfach die Schotten geöffnet wurden. Die Anzahl der freigegeben Titel hält sich entsprechend sehr in Grenzen. Bislang sind es meines Wissens die beiden „Edutainment”-Werke Attentat 1942 und Through the Darkest of Times sowie alle fünf Wolfenstein-Titel aus dem Hause Bethesda.
Und selbst hier gibt es von den neusten Ablegern, Wolfenstein: Youngblood (der Coop-Teil) und Wolfenstein: Cyberpilot (der VR-Titel), noch zwei Versionen: Eine internationale Fassung ohne und eine deutsche mit Zensur. Vermutlich war sich Bethesda noch unsicher, ob Wolfenstein tatsächlich unter die Sozialadäquanzklausel fällt und ging auf Nummer Sicher. Und nein, wenn ihr die deutsche Version kauft, erhaltet ihr die internationale Version leider nicht automatisch dazu. Völlig bescheuert. Bethesda hätte ruhig beide Versionen einfach zu einer zusammenlegen können, nachdem klar war, dass es eine USK-Freigabe gibt. Also aufpassen – nicht nur beim Ladenkauf, sondern auch auf Steam & Co.
Eine neue Welt
Ansonsten ist die von Politik und Gesellschaft befürchtete Schwemme an Hakenkreuz-Titeln wie gesagt ausgeblieben. Hatte auch nichts anderes erwartet. Das liegt schon allein daran, dass es aktuell immer noch nur wenige Spiele gibt, die überhaupt im zweiten Weltkrieg angesiedelt sind. Und der rechte Schund wird damals wie heute erst gar nicht zur Prüfung geschickt, da er eh nicht durchkommen würde. Gleichzeitig sehen andere Publisher bislang nicht die Notwendigkeit auf den Zug aufzuspringen und ihre Titel nachträglich überprüfen zu lassen. Ein relativ frischer Kandidat wäre z.B. Call of Duty: WWII (2017) gewesen. Aber da kommt selbst die internationale Fassung mit extrem wenigen Hakenkreuzen aus. Im Mehrspieler- und Zombie-Horde-Modus gibt es sogar gar keine. Entsprechend sah Activision vermutlich keinen monetären Mehrwert einer Neuprüfung. Gleichzeitig gibt es Publisher wie Kalypso Media, die ein Commandos 2 – HD Remaster (2020) trotz der neuen Situation sogar weltweit komplett zensiert veröffentlicht haben. Angeblich sogar stärker als in der deutschen Urfassung, da z.B. auch die Hinweise auf die Japaner fehlen.
Das kann ich zwar ein Stück weit nachvollziehen – China & Co. reagieren ja leider immer sehr aggressiv auf die vermeintlich falsche Verwendung von „feindlichen” Flaggen -, super ist es trotzdem nicht. Es zeigt, dass wir immer noch einen weiten Weg vor uns haben was den ungehinderten und unzensierten Zugang zu künstlerischen Werken angeht. Natürlich nicht nur in Bezug auf Videospiele. Trotzdem ist es schön zu sehen, wie weit wir zumindest in Deutschland doch seit den Anfängen der Spieleindustrie gekommen sind. Die Indizierungsrate ist im Keller und Zensur nur für den deutschen Markt findet so gut wie nicht mehr statt. Früher musste ich im Internet entsprechend nach Blood-Patches suchen, um Roboter in Menschen und grünes Blut in rotes Blut umzuwandeln. Heute brauche ich nur noch nach Adult-Patches für Anime-Datingspielchen zu fahnden (die aber meistens auf der Herstellerwebseite ganz legal zur Verfügung stehen) . Hoffen wir mal, dass die anstehende Überarbeitung des Jugendschutzgesetzes mit einem starken Fokus auf Onlineinhalte da nicht wieder ein Schritt zurück darstellt.