Sicarius

Rückkehr der Psychonauten

Psychonauts (Herstellerblid)

Psychonauts. Lang, lang ist es her. Frühjahr 2005 in den USA für PC, Xbox (ja, die erste!) und PlayStation 2, im Dezember dann dank THQ auch bei uns. Über ein halbes Jahr Verzögerung? Kann man sich heutzutage bei den mittlerweile weltweiten Parallelreleases gar nicht mehr vorstellen. Damals waren sechs Monate sogar noch schnell :smile: . Aber ja: Double Fines Erstlingswerk und Tim Schafers erster neuer Titel seit dem Kult-Adventure (= ebenfalls schlecht verkauft) Grim Fandango (1998) unter der Schirmherrschaft von LucasArts. Tim kann einem schon echt leidtun. Ein genialer Schreiberling und Designer aber obwohl alle seine Titel mittlerweile als absolute Must-Plays gelten (mit Ausnahme vielleicht von Broken Age – völlig unverdient), war abseits von Day of the Tentacle keiner davon direkt zum Release erfolgreich.

An mir liegt es nicht. Ich war bei Psychonauts von Anfang an dabei – zumindest habe ich für MobyGames die amerikanische Box eingescannt. Erinnern kann ich mich daran nicht mehr wirklich. Damals natürlich bei OkaySoft direkt am ersten Tag gekauft. Die stehen übrigens heutzutage leider nicht mehr auf der Liste meiner Lieblingsshops stehen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich wollte damit nur sagen: Mein Geld hat zumindest der Publisher Majesco Entertainment erhalten. Double Fine hat davon wohl nichts gesehen. Und ich habe auch fleißig meinen (wenigen) Freunden vom Spiel vorgeschwärmt.

Der absolute Wahnsinn

Völlig verdient, versteht sich: Psychonauts war und ist auch heute noch ein absolut genialer Plattformer. Die innovative Geschichte, die buchstäblich schrägen Charaktere, der abgedrehte Schafer-Humor, das absolut bekloppte Leveldesign – alles erste Sahne. Ja, es hakte hier und da beim Core-Gameplay (Stichwort “Original Meat Circus”) aber die Atmosphäre war einfach dermaßen genial – so einen Titel gab‘ es vorher nicht und danach ebenfalls nicht. Vermutlich, weil es sich trotz der hohen Wertungen eben miserabel verkauft hat. Anlässlich der Veröffentlichung von Prey (das Original) hatte ich 2006 dazu folgendes geschrieben (um ein paar Rechtschreibfehler bereinigt):

Psychonauts (Herstellerbild)

Psychonauts hingegen ist im Grunde zwar ein normales Jump ‘n’ Run aber so schräg umgesetzt, dass bei den normalen Spieler Verwirrung, vielleicht sogar Angst einsetzt. Ballern – kenne ich. Ach sind jetzt Rätsel mit dabei, und eine umfangreiche Story? Okay, kenn ich auch alles. Jump ‘n’ Run – kenn ich. Schraubenzieherlevel, ein Kind als Spielfigur, völlig abgedrehte Charaktere? Neee du, dass ist mir zu viel des Guten. Dann doch lieber Super Mario Bros.

So sehe ich das immer noch. Es war zu schräg für die Masse. Und in einer Zeit, in der Spiele hauptsächlich noch im Ladenregal standen, passte das nicht so recht rein. Zumindest, wenn nicht gleichzeitig eine massive Marketingkampagne mitläuft. Die gab’s beim kleinen Publisher Majesco (u.a. BloodRayne 2 und Advent Rising) aber nicht. Und ich behaupte sogar, dass es selbst heutzutage zum Scheitern verurteilt wäre und in der Masse an gleichförmigen Indietiteln (aktuell der absolute Trend: Escape Rooms, Survival Horror und Fake-8bit-Grafik) untergehen würde.

Die Fortsetzung

Aber Psychonauts ist schon seit 2005 auf dem Markt. In der Zwischenzeit hat es dank viel Mund-zu-Mund-Propaganda zahlreiche, lautstarke Fans gefunden. 2016 konnte Double Fine dann endlich von diesem “Good Will” profitieren und von über 24.000 Unterstützern mehr als 3,8 Millionen Dollar für ein Psychonauts 2 einsammeln. Gereicht hat das Geld zwar am Ende wie schon bei Broken Age nicht. Aber Budgets waren für Tim Schafer schon zu LucasArts-Zeiten wohl nur ein Orientierungswert :smile: . Erschienen ist es dann endlich Ende August 2021. Hat doch nochmal einige Zeit im Ofen gebraucht aber was lange währt, wird endlich gut? Nun, zumindest haben es definitiv in der ersten Woche mehr Leute gespielt als Teil 1. Schon allein, weil es im Rahmen des Xbox Game Pass zur Verfügung steht. Aber selbst auf Steam konnte es immerhin in der ersten Woche auf Platz 4 der Verkaufscharts klettern und zur Höchstzeit 7.234 gleichzeitige Spieler verzeichnen. Nicht schlecht für einen Nachfolger eines Nischen-Einzelspieler-Plattformers. Und ja: Mittlerweile habe ich als Backer auch schon knapp 14 Stunden darin versenkt (nähere mich mit großen Schritten dem Finale).

Doch bevor wir zu Psychonauts 2 kommen: Obwohl es die entsprechende Zahl im Namen trägt, ist es nicht der direkte Nachfolger. Es gab‘ tatsächlich schon eine Fortsetzung der Geschichte von Teil 1. Und zwar in Form des VR-Titels Psychonauts in the Rhombus of Ruin. Der erschien 2018 und setzt unmittelbar an Teil 1 an, denn ja: Das Spiel endete damals technisch gesehen auf einen Cliffhanger. Umso schlimmer also, dass wir so lange auf die Weitererzählung warten mussten. Und zwar wurde der Chef der Psychonaus, Truman Zannotto, entführt und die Psychonauts machten sich in ihrem Jet auf den Weg zurück zur Zentrale, um sich darum zu kümmern.

Psychonauts in the Rhombus of Ruin (Herstellerbild)

Psychonauts in the Rhombus of Ruin beginnt nun in besagtem Jet auf diesem Flug nach Hause. Um nicht unnötig viel Zeit zu verschwenden, beginnen sie direkt mit der Suche nach Truman. Unser Held, Razputin, schafft es auch ihn in einer alten Unterwasseranlage der Psychonauts zu erspüren. Leider stürzt der Jet ab und nun gilt es alle zu retten. Das dauert ca. 1 Stunde und ist mehr eine lineare Erzählung als ein wirkliches Spiel. Es gilt das ein oder andere (simple) Rätsel mit euren psychischen Kräften zu lösen. Aber die meiste Zeit teleportiert ihr euch einfach nur von Location zu Location und treibt so die Geschichte voran. Nichts weltbewegendes und die ganzen Geschehnisse werden am Anfang von Teil 2 in einem Satz zusammengefasst. Aber trotzdem eine nette Überleitung mit dem bekannten Schafer-Humor zum Start des neuen Abenteuers. Ach und nein, ich habe immer noch kein VR-Headset. Ich hab‘ mir einfach einen Playthrough auf YouTube angeschaut.

Weiter geht’s

Psychonauts 2 beginnt ebenfalls in medias res und es passt perfekt. Es verstärkt den Eindruck, dass überhaupt keine 16 Jahre vergangen sind, sondern wirklich nur wie im Spiel zwei Tage. Man fühlt sich als Veteran sofort wieder heimisch. Steuerung, Sound- und Leveldesign – alles sehr bekannt. Ja, man glaubt sogar, dass sich die Grafik seit 2005 nicht geändert hat. So gut wurde der grundsätzliche Stil beibehalten. Aber natürlich sieht Teil 2 um Welten besser aus als Teil 1. Nur die Nostalgie-Brille sorgt dafür, dass man den Vorgänger nicht als die 4:3-Undetallierte-Matsch-Texturen-Welt in Erinnerung hat.

Dennoch: Teil 2 ist eine wirklich nahtlose Fortsetzung nicht nur was die Geschichte angeht. Das Spielprinzip ist fast komplett unverändert (der Ballon löst sich beim Schweben jetzt nach ein paar Sekunden auf). Immer noch spielt ihr den jungen Raz, jetzt ein Psychonauts-Trainee, und dringt in die Gedanken anderer Leute ein, um sie von ihren Problemen zu befreien. Als Unterstützung mit im Gepäck habt ihr acht Fähigkeiten, die ihr im Laufe des Spiels durch Levelaufstiege verbessern könnt wie z.B. Telekinese mit der ihr Sachen herumtragen/schleudern könnt, den bekannten Levitationsballon mit dem ihr schneller von A nach B kommt oder Hellsehen mit dem ihr die Welt durch die Augen eines anderen sehen könnt. Außerdem ein paar Gadgets darunter den “Verstreute Gedanken”-Sucher, der zusätzliche Plattformen freischaltet oder auch eine Kamera (inkl. Filter). Die hat spielerisch keinen Nutzen aber ein Fotomodus zu haben ist ja heutzutage “in” :smile: . Etwas nervig ist, dass ihr nur vier Fähigkeiten gleichzeitig Tasten zuweisen dürft. Was auf einem Gamepad sicherlich Sinn macht (es aber auch nicht besser macht), ist auf dem PC total doof. Es zwingt euch relativ häufig zurück ins Menü zu wechseln und eine Kraft auszutauschen, um im richtigen Moment das richtige Werkzeug zur Verfügung zu haben. Da hätte ich mir zumindest für uns PCler die Möglichkeit gewünscht alles Kräfte frei auf Tasten legen zu dürfen.

Die negativen Seiten

Psychonauts 2 (Herstellerbild)

In der realen Welt seid ihr hauptsächlich in und um das Hauptquartier der Psychonauts unterwegs. Ihr trefft auf viele alte Bekannte (inkl. eurer Familie) und erfüllt nicht einmal ein halbes Dutzend Nebenaufgaben. Wirklich viel zu tun gibt es abseits der Suche nach den Collectibles (zum Hochleveln und Achievements) also nicht. Sowieso ist der “Gameplay”-Anteil von Psychonauts 2 gefühlt eher niedrig. Ja, ihr könnt einige Umgebungen frei erkunden. Und auch in den Gehirnen selbst habt ihr längere Abschnitte in denen ihr einfach nur ein bisschen rätselt, herumhüpft und die zahlreichen Figments, Safes und Taschen sammelt. Dennoch ist es irgendwie ein sehr kleiner Kosmos in dem ihr euch bewegt und die Herausforderung sehr überschaubar sowohl was das Platforming angeht als auch die wenigen Kämpfe. Selbst Multiple-Choice-Dialoge gibt es nur sehr wenige. Stattdessen liegt der volle Fokus darauf die Geschichte über entsprechende Zwischensequenzen zu erzählen. Das ist auf der einen Seite nett, weil diese natürlich wieder das Highlight ist. Es nervt aber schon ein wenig, dass man viele Sachen nicht selbst machen darf, sondern die Kontrolle entrissen bekommt. Und in den Momenten, in denen man die Kontrolle hat, relativ wenig passiert.

Andererseits: Die Steuerung hat sich seit Teil 1 leider nicht signifikant verbessert. Es kommt immer noch sehr häufig vor, dass man daneben springt, Raz nicht das macht was man will oder seine Fähigkeiten nicht gezielt einsetzen kann. Am schlimmsten war es mit der Telekinese in der Kochshow. Hier müsst ihr Zutaten einsammeln und an verschiedene Stationen bringen. Allein schon das Greifen der richtigen Zutat ist ein Krampf. Dann aber auch noch mit der Zutat in der Hand zur jeweiligen Station zu kommen? Alter Schwede. Und zwar nicht aufgrund des Leveldesigns (der Weg ist logischerweise voller Gefahren) sondern, weil man die “Halte”-Taste nicht loslassen darf, da sonst die Zutat weggeschleudert wird? Ein Fragezeichen, weil es in manchen Situationen geht und in anderen nicht. Verstanden habe ich es nicht.

Das größte Problem von Psychonauts 2 sind jedoch die Levels an sich. Ja, Tim Schafer und seine Truppe hatten wieder ein paar coole Ideen und es ist grundsätzlich gewohnt verrückt. Besagte Kochshow beispielsweise, ein sehr psychedelischer Abschnitt auf einem Musikfestival oder eine Stadt voller Bakterien in einem Bowling-Schuh. Aber es fehlen für mich die Übermegaknaller wie in Teil 1, die einem heute noch in Erinnerung sind. Keine Levels von der Qualität der Milchmann-Verschwörung, des Waterloo-Tabletop-Spieltischs oder Lungfishopolis. Das ist sehr schade. Dazu kommt, dass so viele der neuen Charaktere nicht wirklich zur Geltung kommen. Es fühlt sich zwar nicht so an, als wären Inhalte gestrichen worden. Dennoch spielen viele Personen der ersten Hälfte des Spiels plötzlich überhaupt keine Rolle mehr. Speziell die anderen Trainees sind sehr schnell einfach verschwunden. Dabei hatte ich noch nicht einmal wirklich Zeit sie richtig kennen zu lernen.

Klingt scheiße?

Psychonauts 2 (Herstellerbild)

Fassen wir also zusammen: Ihr “spielt” vergleichsweise wenig und wenn man mal Hand anlegen darf ist die Steuerung mitunter dürftig. Gleichzeitig sind die erneut größtenteils eher linearen Levels nicht schräg genug. Klingt jetzt nicht nach dem ultimativen Plattformer. Wenn dann sogar die Geschichte noch ihre Probleme hat… Und ja: Ich bin tatsächlich etwas enttäuscht von Psychonauts 2. Es ist definitiv kein Nachfolger, der den Vorgänger vom Thron stößt trotz modernerer Technik. Bin ich trotzdem glücklich darüber es endlich spielen zu können und zu erfahren wie die Geschichte weiter geht? Fuck Yeah! Ich meckere hier auf einem sehr hohem Niveau.

Sind mir die Level nicht abgefahren genug? Definitiv, aber sie sind immer noch genial, einfallsreich und humorvoll. Fehlt mir ein wenig mehr Drumherum? Ich hätte selbstverständlich gerne noch mehr Zeit mit der Spielwelt und ein paar der Nebencharaktere verbracht. Nervt mich hier und da die ungenaue Steuerung? Absolut. Gibt nichts Schlimmeres in einem Plattformer. Es ist aber weit davon entfernt unspielbar zu sein. Stimmt die Atmosphäre? Über jeden Zweifel erhaben: Aussehen, Sounddesign, Erzählweise – absolut erstklassig. War ich sofort wieder mitten drin und mega-gespannt wie die Geschichte ausgeht? Aber sowas von. Ist die Geschichte gut genug, um das für das lange Warten zu entschädigen? Definitiv. Kann ich den Titel also uneingeschränkt empfehlen? Äh… schwierig.

Natürlich versucht Double Fine alle abzuholen, die Teil 1 nicht kennen. Aber ich glaube durchaus, dass sehr viel verloren geht, wenn man nicht live dabei war. Zu sehr setzen die Entwickler auf die etablierten Charaktere aus dem Vorgänger (warum hat Raz einen Mann im Ohr, der auf Bacon reagiert?!) und knüpfen an entsprechende Handlungsstränge und Situationen an. Das ist für eine Fortsetzung extrem konsequent und für Fans genau das, was sie wollen. Aber auf sich alleine gestellt ist es vermutlich ein Problem. Es bleibt aus meiner Sicht abseits der skurrilen Levels nicht mehr viel vom Spiel übrig, wenn man die Geschichte wegnimmt. Insofern: Für Kenner und Fans von Psychonauts der absolute und sofortige Pflichtkauf. Für alle anderen? Trotz der veralten Grafik vielleicht doch erstmal Teil 1 nachholen.

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