Sicarius

Die Worte einer Legende

Über id Software und ihre Gründerväter wurde bereits sehr viel gesagt und noch mehr geschrieben – auch von mir. Vor allem Masters of DOOM* ist immer noch die absolute Pflichtlektüre in der Hinsicht. Doch trotz der vermeintlichen Informationsfülle, weiß man doch teilweise erstaunlich wenig darüber, was wirklich hinter den Kulissen passiert ist. Vieles basiert auf einzelnen Sichtweisen oder sind schlicht Vermutungen, die über die Jahre zu (falschen) Fakten mutiert sind. Unter anderem das Verhältnis zwischen John Romero und John Carmack wird gerne als bis heute absolut vergiftet dargestellt. Dabei waren und sind die beiden weiterhin gute Freunde und tauschen sich häufig aus.

Entsprechend hellhörig wurden Fans und Videospiele-Historiker als John Romero seine Autobiographie ankündigte. Und zwar nicht nur, weil er logischerweise von Anfang an mit dabei war und speziell zu den Geschehnissen bei seinem nächsten Stopp, Ion Storm, bis heute vieles im Dunkeln liegt. Sondern auch, weil Romero unter dem Phänomen Highly Superior Autobiographical Memory “leidet” (er selbst sieht es als Vorteil und nicht als Fluch) – früher Hyperthymesie genannt. Solche Menschen können sich an jeden einzelnen Tag ihres Lebens ab einem bestimmten Alter erinnern. Als jemand, der den Großteil seiner Kindheit faktisch vergessen (oder verdrängt) hat und sich oftmals nicht einmal daran erinnern kann, was er gestern zum Mittagessen hatte, absolut unvorstellbar. Aber für Historiker natürlich eine geniale Sache. Der ultimative Zeitzeuge quasi.

Seit Juli 2023 ist das Buch nun auf dem Markt und ich habe es endlich geschafft meine vom Autor höchstpersönlich signierte (*angeb*) Ausgabe zu lesen:

(Cover)

Doom Guy: Life in First Person* (2023, 370 Seiten) – Aufgeteilt in vier Episoden (=eine Hommage an DOOM) und 28 Kapitel, geht es von Romeros Kindheit bis kurz vor Entwicklungsbeginn von SIGIL II. Wobei – nachvollziehbar – eine ungeleiche Gewichtung herrscht. So nimmt id Software fast die Hälfte des Buches ein. Während die Zeit nach dem Zerfall von Ion Storm (2001-2022) auf nur 45 Seiten abgehandelt wird. Letzteres finde ich ein wenig schade, denn faktisch war John Romero aus Sicht der Öffentlichkeit in der Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Dabei hat er sich definitiv nicht in die Ecke gestellt und sich für Daikatana geschämt, sondern hat daraus gelernt und ist ein weiteres Mal weitergezogen. So gehörte er mit seiner Firma Monkeystone Games zu einen der ersten, die Spiele für Smartphones gebastelt haben. Zusammen mit seiner dritten und derzeitigen Ehefrau, Brenda Romero, hat er anschließend Loot Drop gegründet und ist in den Markt der “Facebook”-Spiele eingestiegen, bevor Meta durch das Verbot der (echt nervigen) Posts à la “Pommesbude1987 hat 100 Erdbeeren in Farmville gepfückt” dem Markt faktisch den Geldhahn zudrehte. Immerhin erfahren Fans auf 10 Seiten ausführlich alles über seinen vor ein paar Jahren gescheiterten Versuch mit Blackroom wieder ins Land der Ego-Shooter zurückzukehren – inkl. einer textuellen Beschreibung der Pitchdemo, mit der sie damals hinter verschlossenen Türen auf der E3 waren. Aber z.B. über Empire of Sin* wird so gut wie kein Wort verloren.

Ich verstehe aber auch, dass ein Großteil der Leser das Buch nur aus einem einzigen Grund kauft: Um mehr Details über id Software und Ion Storm zu erfahren. Und Romero war sich dessen ebenfalls bewusst und erwähnt es (mehrfach). Für jemanden wie mich, der das Werk tatsächlich von vorne bis hinten gelesen hat, ergeben sich dadurch so einige – ja, ehrlich gesagt nervige Wiederholungen. Aus meiner Sicht hat er hier ein wenig zu sehr Rücksicht auf seine potenzielle Leserschaft genommen. Aber gut: Immerhin wird die Erwartungshaltung voll erfüllt. Man erfährt so zahlreiche Details, die dabei helfen viel diskutierte Themen wie z.B. die angespannte Situation bei der Entwicklung von QUAKE endlich ins rechte Licht zu rücken. Und mir ist verständlicher, was damals bei Ion Storm los war und wie Romeros wohl größter Fehltritt (die Werbeanzeige “John Romero’s about to make you his bitch.”) entstanden ist. Zugegeben: Es ist am Ende des Tages immer noch nur ein Blickpunkt auf die Ereignisse, obwohl sich Romero während des Schreibens mit vielen alten Wegbegleitern unterhalten hat. Aber er fügt sich nahtlos in die bekannten Augenzeugenberichte ein und schärft/korrigiert diese maßgeblich.

Gleichzeitig – und das ist mir sehr wichtig zu erwähnen -, erfährt man auch sehr viel über Romero selbst. Sohn eines Alkoholikers, der seine Familie von heute auf morgen für eine andere Frau verließ. Aufgewachsen in armen Verhältnissen, wo die Mutter täglich um das Essen auf dem Tisch kämpfen musste. Aber auch in einer Gemeinschaft, in der sich alle unterstützen und im Zweifel die Oma ihn durchfütterte. Anschließend gelitten unter einem buchstäblich militanten Stiefvater, der seinen Wissensdurst auf der einen Seite förderte, aber auf der anderen ihn auch einfach hochkant aus dem Haus auf die Straße warf, weil er mal Mädchenbesuch hatte. Von seiner frühen Begeisterung für Videospiele und das Programmieren und wie ihm die Hyperthymesie bis heute dabei hilft. Wie sehr Carmack und er vom ersten Tag an auf einer Wellenlänge waren (und immer noch sind). Was er aus seinen Rückschlägen und Erfolgen gelernt hat und was er heute anders machen würde. Und so weiter und so fort. Wie gesagt: Das Buch ist vollgepackt mit Infos und es ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend und informativ.

Beim Christoph meint: Trotz der kleinen Mängel (Neuzeit kommt etwas zu kurz, leichte Wiederholungen von vorherigen Kapiteln) eine absolute Pflichtlektüre und damit volle 5 von 5 Sics. Wer sich auch nur ein bisschen für die Geschichte der Ego-Shooter im Allgemeinen, die ersten Jahre von id Software und John Romero im Speziellen interessiert, kommt um dieses Werk faktisch nicht herum. Es ist (fast) alles drin und dran, was man erwarten würde. Und es gewährt dem Leser viele neue und tiefe Einblicke in eine sehr interessante Zeit in der Spieleindustrie von einem der ganz großen, der sich zudem an jedes Detail genau erinnern kann.

Nach dem Lesen bleibe ich faktisch nur mit dem Bedürfnis zurück mal wieder in die Tasten zu hauen, um 1-2 Portraits zu schreiben (über John Romero und Ion Storm). Mal schauen, ob ich irgendwann mal die Zeit dazu finde.

PS: Wenn ihr mal fünf Stunden Zeit habt, solltet ihr euch unbedingt Lex Fridmans Interview mit John Carmack anhören. Extrem interessant und informativ (wie so viele von Fridmans Podcasts). Bitte? Das ist euch zu lang?! *kopfschüttel* Carmacks QuakeCon-Vorträge dauerten auch häufig mehr als drei Stunden. Stellt euch also nicht so an!

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