Sicarius

Kleine Elfen

Im Rahmen des Bildungsurlaubs haben wir nicht nur längere Texte geschrieben. Es war auch die Aufgabe sogenannte Elfchen zu jedem Thema zu verfassen. Ein Elfchen ist, wie Wikipedia es vorzüglich beschreibt, „ein kurzes Gedicht mit einer vorgegebenen Form”. Besagte Form sind 11 Wörter (deswegen “Elfchen”) aufgeteilt auf fünf Zeilen. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier und – quasi als abschließenden Höhepunkt – nochmal eins. Theoretisch hat jede Zeile auch noch eine eigene Bedeutung, aber darauf haben wir nicht wirklich geachtet. Finde ich sowieso immer ein wenig bescheuert wie viele Regeln es im kreativen Bereich mitunter gibt.

Hier also meine Elfchen in der Reihenfolge ihrer Entstehung:

Thema: Ein Sonntag in meiner Familie

Sonntag
Gelebte Tradition
Bibliothek und Großeltern
Ich freue mich darauf
Kindheit

Thema: Mein Leben

Reflexion
Eine Erinnerungslücke
Zurückdenken ist schwierig
Ich bin irgendwie enttäuscht
Traurigkeit

Thema: Meine 1. Liebe

Liebe
Totale Überraschung
Aus dem Nichts
Den ewigen Partner gefunden
Schicksalshaft

Thema: Meine größte Ressource

Lysanda
Augen geöffnet
Neue Perspektiven aufgezeigt
Auf meinem Weg begleiten
Liebe

Thema: Der Bildungsurlaub

Bildungsurlaub
Lehrreiche Woche
Neue Erfahrungen gemacht
Und das Leben wiederentdeckt
Zufrieden

Es klingt wie ein absolutes Klischee. Wie eine einfache, unkomplizierte und unverfängliche Antwort auf die Frage. Aber manchmal sind es nun mal die vermeintlich einfachen Dinge, die die größten Auswirkungen haben können. Es ist der berühmte Flügelschlag des japanischen Schmetterlings, der in Europa zu Überschwemmungen führt. Und für mich und mein Leben ist die Tatsache schlicht und einfach, dass Lysanda die größte Ressource für mich war und ist. Sie ist die Antwort auf die Frage, welche Menschen mich gestärkt haben. Sie ist diejenige, die mich am meisten geprägt hat und es jeden Tag weiter tut.

Das ist logischerweise eine große Last, die ich ihr da aufbürde. Doch ohne sie wäre ich nicht der Mann, der ich heute bin. Keine Phrase, keine Übertreibung – nur die harten Fakten. Sie ist da an meinen Tiefpunkten. Sie steht mir bei. Sie hört mir zu. Sie ist mit Rat und Tat an meiner Seite. Und sie hilft mir immer mich weiter zu entwickeln. Mich selbst zu finden. Sie reicht mir auf meinem Weg ins Ungewisse die Hand und begleitet mich.

Als ich aus dem Elternhaus nach 29 Jahren auszog, war ich auf der einen Seite hoffnungsvoll und gespannt, was jetzt mit mir passiert. Gleichzeitig war ich aber nun auch völlig allein und auf mich gestellt in einer fremden, neuen Umgebung. Das war entsprechend ein willkommener Nährboden für meine Selbstzweifel, meine Depressionen und meinen grundsätzlich negativen Ausblick auf den Rest meines Lebens zu dieser Zeit.

Dann trat Lysanda in mein Leben und plötzlich gab es einen Sinn für mein Dasein auf dieser Erde. Meine Selbstzweifel versuchen zwar bis heute dieses Glück unwirklich erscheinen zu lassen und es sicherheitshalber von mir wegzustoßen. Doch Lysanda, mein Fels in der Brandung, lässt das nicht zu. Sie findet es nicht gut, wie ich mit ihrem geliebten Ehemann umgehe und versucht stattdessen mich zu stärken.

Mir zu zeigen, dass ich nicht mehr alleine bin.
Mir verstehen zu geben, dass nichts in Stein gemeißelt und bis zum Ende des Lebens ertragen werden muss.

Wenn ich entsprechend zurückblicke. Zurückblicke auf den Sicarius im Jahr 2013, dann erkenne ich ihn kaum wieder. Ja, er ist und wird immer ein Teil von mir sein. Aber ich bin nicht mehr er und darüber bin ich sehr froh. Und ohne Lysanda hätte ich das nicht geschafft.

Deswegen ist sie der Mensch, der mich am meisten geprägt hat.
Der Mensch, der mir die meiste Kraft gibt.
Meine größte Ressource.

Und nicht nur aber auch deshalb liebe ich sie von ganzem Herzen.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Ich erinnere mich.

Ich erinnere mich, dass es wie aus dem Nichts kam.

Ich kannte sie zu dem Zeitpunkt schon ein paar Monate. Wir hatten uns “zwangsweise” auf der Arbeit kennen gelernt. Sie war im gleichen Team wie ich, saß im selben Büro und dort sogar an der Tür. Aber obwohl wir von Anfang an auf der Arbeit viel Zeit miteinander verbrachten, dachte ich mir nichts dabei. Wieso auch? Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt schließlich schon jahrelang – vermutlich zum Selbstschutz – eingeredet, dass sich sowieso niemand für mich interessiert. Schon gar nicht das andere Geschlecht. Dass ich nie wirklich das Haus verließ und zudem noch in einem vergleichsweise hohen Alter im Kinderzimmer des Elternhauses saß, war der Sache ebenfalls nicht wirklich dienlich. Insofern nahm ich sie einfach nur als nette, gleichaltrige Kollegin war – die zudem, wie ich, Katzen liebte. Entsprechend dachte ich mir nichts weiter dabei, als sie vorschlug doch mal ins Kino zu gehen. Also nicht alleine, sondern zusammen mit ihrer Freundin und deren Partner. Ich nahm das Angebot dankend an. Neu in einer fremden Stadt und mir durchaus bewusst, dass ich mehr raus musste, ignorierte ich meine inneren Widerstände entsprechend. Ich setzte sogar noch einen drauf und schlug vor, dass wir doch auch mal zu einem Konzert im Staatstheater gehen könnten. Sie willigte ein und wir machten einen entsprechenden Plan.

Aus dem Kinobesuch mit ihrer Freundin wurde am Ende nichts. Unser erstes, privates Treffen war stattdessen besagtes Konzert. Nur sie und ich. Als romantische Verabredung verstand ich den Abend nicht. In meinen Augen war es einfach nur ein netter Ausflug mit Kollegen oder maximal Freunden. Ja, meine Naivität kannte keine Grenzen. Und dann ging ich auch noch in der Vorhalle einfach an ihr vorbei! In ihrem hübschen, dunkelvioletten Kleid war sie mir gar nicht aufgefallen. Übrigens war das Kleid etwas, was ich ihr versprechen musste niemals ihrer Mutter zu erzählen. Gebt ihr also auf keinen Fall diesen Text zum Lesen! Nach dem Konzert brachte ich sie mit meinem Auto nach Hause und nichts weiter passierte. Wie gesagt: Für mich war es einfach nur ein netter Abend und mehr nicht.

Ein paar Wochen später, am darauffolgenden Ostersonntag, geschah jedoch etwas, was mich bis heute selbst überrascht. Gläubigere Menschen würden jetzt sicherlich irgendwas faseln von “Die Auferstehung Jesu brachte mir die Erleuchtung!” oder so einen Blödsinn. Fakt ist: Irgendwas in mir gab mir endlich den notwendigen Tritt in den Hintern und setzte eine Maschinerie in Gang, deren Räder sich bislang noch nie gedreht hatten. Entsprechend heftig traf es mich ohne, dass ich es wirklich realisierte.

Doch wir müssen einen Schritt zurückgehen: Es war also Ostersonntag. Ich war Zuhause bei meinen Eltern. Die buckelige und nicht so buckelige Verwandtschaft war wie jedes Jahr zu Besuch. Das Mittagessen war verspeist worden und ich hatte mich in mein altes Zimmer zurückgezogen, um meine sozialen Batterien wieder aufzuladen. Dann bekam ich plötzlich eine MMS. Das an sich war schon ungewöhnlich. Ich bekam zu dem Zeitpunkt nie Nachrichten. Meine wenigen Freunde kommunizierten anderweitig mit mir. Von wem kam sie also dann? Nun, von ihr. Wegen dem Konzert hatte ich ihr meine private Handynummer gegeben. Jetzt hatte sie mir darüber einen Ostergruß geschickt. Ein Foto mit einer Blume, einem selbstgezeichneten Osterhasen und – ganz wichtig – der kleinen Katzenfigur, die ich ihr warum auch immer geschenkt hatte. Vermutlich wusste mein Inneres schon länger Bescheid und tat heimlich Dinge, um mich zu leiten aber nicht gleich zu überfordern.

In diesem Moment änderte sich das jedoch schlagartig. Diese vermeintlich simple Geste von ihr triggerte mich massiv. Ich erinnere mich noch, dass ich anfing zu zittern und sehr nervös wurde, als ich die Nachricht las. Und in einer erneut für mich äußerst untypischen Reaktion fasste ich den Entschluss direkt eine Verabredung mit ihr auszumachen. Eine kurze Internetrecherche brachte eine kleine Kunstausstellung im Prinz-Emil-Garten in Darmstadt hervor. Also rief ich sie an – erneut eine für mich außergewöhnliche Entscheidung -, aber sie ging nicht dran. Heute weiß ich, dass sie Angst hatte abzuheben. Anfangs erzählte sie mir noch, dass sie unterwegs gewesen wäre und das Handy nicht dabeigehabt hätte. Ich schrieb ihr also eine kurze SMS zurück mit dem Vorschlag am nächsten Tag zu dieser Ausstellung zu gehen. Sie willigte ein und ein kurzer Anruf von mir später (dieses Mal ging sie dran), war der Termin ausgemacht. Ich war total ekstatisch, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich verstand warum. Ich beendete darauf zügig meinen Besuch bei meinen Eltern und fuhr zurück in meine Wohnung in Büttelborn. Am nächsten Tag trafen wir uns vor ihrer Wohnung und gingen zusammen zum Park.

Meine erste Liebe (Aquarellzeichnung)

Der Park, und das ist nicht ganz unwichtig zu wissen, besteht aus einer Wiese auf einem Hang. Und oben auf dem Hügel steht ein kleines Schlösschen, in dem die Kunstausstellung sein sollte. Spoiler: Die Ausstellung haben wir am Ende nicht gefunden. Aber wir haben ehrlich gesagt nicht großartig danach gesucht. Stattdessen kamen wir oben mitten über der Wiese auf dem Hügel zum Halt. Den Blick in Richtung Stadt gerichtet. Und sie fing im Prinzip an wie auf einer Seifenkiste stehend ihr Leben vor mir und vielleicht der ganzen Welt auszubreiten. Ich weiß noch, dass mir das stellenweise etwas unangenehm und peinlich war. Obwohl es nicht der schönste oder sonnigste Tag war, waren wir mitnichten allein im Park. Speziell im Kopf geblieben ist mir mein verstohlener Blick hinter uns zu einem älteren Mann auf einer Parkbank.

Irgendwann machte sie dann doch mal eine Pause in ihrer Erzählung und wir versuchten etwas halbherzig die Ausstellung zu finden. Als das nicht gelang, gingen wir zurück zu ihr – und ich dieses Mal mit hoch in ihre Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits vollumfänglich um mich geschehen und ich ziemlich mit meinen Gefühlen überfordert. Wir redeten noch bis spät in die Nacht, bevor ich mich auf den Weg zurück in meine Wohnung machte.

Was die nächsten Tage folgte, war definitiv ein gutes Beispiel für die Phrase “Hals über Kopf verliebt”. Ich überschwemmte sie mit SMS und hatte gleichzeitig massive Angst irgendetwas falsch zu machen. Das wir uns weiter jeden Tag auf der Arbeit sahen und dort professionell sein mussten, half nicht gerade die Situation zu stabilisieren. Dass ich verliebt war, war mir aber immer noch nicht so richtig bewusst.

Wir hatten uns für Freitagabend zum Essen verabredet und ich war guter Dinge. Inspiriert von ihr, schrieb ich sogar endlich eine alte Kurzgeschichte zu Ende. Doch Freitag morgens hatte ich plötzlich eine Mail von ihr im Postfach. Es wäre ihr alles zu viel und sie wäre überfordert, stand darin. Ich sage euch, es waren quälend lange Stunden an diesem Tag auf der Arbeit. Wir saßen keine drei Meter von einander entfernt und doch fühlte es sich an als ob ein Ozean zwischen uns lag, weil ich nicht mit ihr darüber reden konnte. Und dann machten die beiden anderen Arbeitskollegen im Zimmer auch noch an diesem Tag länger! Ich war echt ein emotionales Wrack am Ende. Doch am späten Nachmittag (~17 Uhr) war es endlich soweit: Wir waren allein und ich konnte die Mail ansprechen.

Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Aber es waren scheinbar die richtigen Worte und die korrekte Geste. Die Verabredung am Abend (18 Uhr…) blieb bestehen, wir redeten anschließend noch bis 3 Uhr in ihrer Wohnung und, weil ich meine eigene Fahrtüchtigkeit aufgrund meiner Müdigkeit in Frage stellte, übernachtete ich auch zum 1. Mal bei ihr.

Und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Die Geschichte meiner ersten und bislang einzigen Liebe.

Eine Erinnerung, an die ich mich gerne zurückerinnere.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Da stand Sicarius also. Irgendwo in der Mitte der Fasanerie. Der Boden unter seinen Füßen bedeckt mit Herbstlaub. Über ihm die sich lichtenden Kronen der Bäume. Um ihn herum war Stille. Keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Nur der bitterkalte Wind, der durch den Wald blies und Sicarius frösteln ließ.

Die Aufgabe war auf dem Papier ganz simpel: Erinnere dich zurück an deinen Lebensweg. Gehe in einer Spirale von heute an zurück bis du zum Ursprung gelangst – deiner Geburt.

Schon bei der Aufgabenstellung kamen bei Sicarius viele Unsicherheiten hoch, die er mit ungestellten Fragen zu kaschieren versuchte. Beispielsweise ist unser Ursprung doch eigentlich nicht die Geburt. Stattdessen wird das, was wir sind, doch theoretisch viel früher geformt. Die Erinnerung der Mutter, des Vaters und der vielen Generationen vor uns sind uns mitunter nicht bewusst. Und doch begleiten und formen sie uns ein Leben lang, wenn wir nichts dagegen tun.

Doch zurück zu Sicarius, wie er dort einsam und allein mit seinen Gedanken auf der Lichtung stand. Er behauptet immer, er könne sich an Nichts erinnern. Und ja, er hat durch seine Schwierigkeiten. Die wichtige Information der liebenden Ehefrau am Mittagstisch, die am Abend schon wieder vergessen ist. Die Erinnerung an freudige Ereignisse in der letzten Woche – sein Gehirn scheint nicht gewillt oder in der Lage sich sowas zu merken. Vielleicht erscheint ihm das alles als Unwichtig. Aber, dass z.B. QUAKE III Arena von id Software am 2. Dezember 1999 auf den Markt kam – das weiß er immer noch und auf Abruf.

Und wenn man genauer nachfragt, fallen ihm dann doch wieder einige Sachen aus der Kindheit und Jugend ein. Ja, es mag nicht viel sein. Möglicherweise hat er tatsächlich vieles vergessen oder aus Selbstschutz verdrängt. Aber, dass da Nichts wäre, ist schlicht und einfach eine Lüge, die er sich und anderen erzählt. Vielleicht aus Angst, was dabei hochkommt?

Meine Lebenslinie

Panik stieg so langsam in Sicarius auf. Die Zeit lief ihm davon und er wusste, dass er im Anschluss an diese Übung etwas schreiben musste. Entsprechend brachte es nichts hier einfach nur zu stehen und abzuwarten. Also machte er endlich den ersten Schritt in die Spirale hinein. Es war ein ziemlich großer. Viele Jahre zurück zu seiner Hochzeit. Dann ein kleiner Schritt zum gemeinsamen Hauskauf. Gefolgt von der 1. Verabredung. Der Jobwechsel nach Darmstadt. Der Jobwechsel nach Nürnberg. Das große Projekt auf der Arbeit in Aschaffenburg.

Es waren viele kleine Schritte, die Sicarius da plötzlich ging. Die Zeit in der Redaktion von GamersGlobal. Das Journalismus-Fernstudium. Die Gründung der Webseite. Irgendwie waren da doch so einige Erinnerung, die da hochkamen. Interessanterweise aber wenige mit seinen Eltern, Geschwistern und der restlichen, buckligen Verwandtschaft. Stattdessen eher Meilensteine, die er aus seiner Sicht erreicht hat – oftmals mit der Unterstützung anderer. Das ist nämlich noch so ein Punkt. Er behauptet immer total allein zu sein. Die Realität ist aber, dass er nur selten wirklich allein war. Früher nicht so sehr geliebt und geboren, wie er sich das vielleicht gewünscht hätte. Aber alleine? Nicht wirklich.

Sicarius‘ Schritte in der Spirale wurden wieder etwas größer. Er sagt immer, dass sein Leben erst mit 21 Jahren begann. Als seine Geschwister und er endlich dem Vater die Stirn bieten konnten. Als er nach der Ausbildung endlich etwas fand, was ihm Spaß bereitete. Und er endlich die endlosen Jahre an der Schulbank hinter sich lassen konnte.

Davor ist ein ziemlich großes Loch. Erinnerungsfetzen, meist an keine schönen Ereignisse wie Mobbing in der Schule, die Situation Zuhause und dergleichen. Entsprechend schnell gestaltet sich Sicarius‘ weiterer Weg zur Mitte der Spirale. Allerdings kommt er nicht im Mittelpunkt zum Stehen. An seine Geburt kann er sich nämlich nicht erinnern. Und Erzählungen dazu kennt er ebenfalls nicht. Stattdessen endet seine Reise an seiner ersten Erinnerung, derer er sich selbst bewusst ist. Er war im Kindergarten. Es wurde gebastelt. Pappmaché-Hühner, die dann mit echten Federn beklebt wurden. Sicarius hat davon nur den Anfang erfahren, bevor er von seiner Mutter abgeholt und zu den Großeltern gebracht wurde. Die Federn hatten erstmals sein Asthma zum Vorschein gebracht.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

Mein Wort-Art “Sonntag in meiner Familie”

Gleichförmigkeit, Tradition, Bekanntes – das sind ein paar der Stichworte, die ganz gut mein Elternhaus beschreiben. Das Haus mitten im kleinen Dorf, 20m von der großen, katholischen Kirche entfernt und irgendwo in der unterfränkischen Provinz.

Warum auch immer, war ich von Anfang an ein Frühaufsteher. Meine Mutter musste mich nur selten aus dem Bett holen – selbst sonntags nicht. Im Gegenteil war ich an einem typischen Sonntag sogar meist der erste auf den Beinen. Es passierte nicht sehr häufig, aber eine meiner schönsten Sonntagserinnerung ist, dass ich dann im Schlafanzug in die Küche bin. Habe mir dort dann ein paar Aufback-Croissants aus dem Gefrierfach geholt und sie in den bodennahen Backofen zum Backen gelegt. Dann habe ich mir einen kleinen Hocker geholt und mich davorgesetzt, um den Croissants beim Wachsen zuzusehen. Die Wärme strahlte dabei auf mein Gesicht und ich fühlte mich auf eine gewisse Art und Weise geliebt und geboren.

Nachdem die Croissants fertig waren, habe ich mir eine Tasse heißes Wasser gemacht. Da dann ordentlich Zucker rein und 1-2 Teelöffel von diesem komischen Gerstenkaffee. Die Älteren unter euch wissen sicherlich, was ich meine (CARO). Da habe ich dann meine Croissants eingetunkt und gegessen. In Kaba eingetunkt schmeckten die warum auch immer nicht.

In der Zwischenzeit war dann meist schon meine Mutter ebenfalls aufgestanden und hat ihrerseits ihren Tag begonnen. Damals war noch jeden Sonntag um 9 Uhr die Heilige Messe und als Bewohner eines streng katholischen Dorfes durften wir da natürlich nie fehlen. Sie als vorbildliche Gläubige auf den Bänken, ich vorne beim Pfarrer als anständiger Messdiener. Weil man das halt damals so gemacht hat und es die Ordnung der Dinge war. Gefragt wurde da nicht. Nur gelästert über die, die nicht mitmachten.

Nach der Kirche wurde der sonntägliche Besuch bei Oma und Opa vorbereitet. Mütterlicherseits. Väterlicherseits waren bereits verblichen. Gegen 11 Uhr stiegen wir ins Auto und fuhren los, aber nicht auf direktem Wege, sondern erst in die Heimatgemeinde. Dort hatte sonntags nämlich immer bis 12 Uhr die katholische Bibliothek an der Kirche geöffnet. Dort durften wir Kinder uns dann was zum Ausleihen aussuchen. Und ja, bei mir waren es vermutlich die meiste Zeit irgendwelche Comics.

Von der Bibliothek aus ging es aber dann die 4-5 Ortschaften weiter zu den Großeltern. Pünktlich zum Beginn der Sendung mit der Maus waren wir immer dort und durften diese dann schauen. Um Punkt 12 gab es Mittagessen – gekocht von Opa. Seine Frau durfte „nur“ unter der Woche dran. Gegessen wurde meist gut bürgerlich Deutsch: Rotkraut, Braten, Klöße – sowas halt.

Am Ende des Mittagessens stand das Abräumen, spülen und abtrocknen, natürlich unter tatkräftiger Unterstützung der anwesenden Kinder. Bei gutem Wetter folgte ein mehr oder weniger umfangreicher Spaziergang. Durch den Ort hindurch hinaus in Richtung Felder und Wald. Im Sommer auch mal zur im Wald gelegenen Kneippanlage zum Abkühlen.

Wieder bei den Großaltern angekommen, bestand das Programm wahlweise aus Fernsehen, sehr beliebt war die Formel 1 auf RTL, oder gemeinsam Brettspiele am Küchentisch spielen – zumindest bis es Zeit für den Kaffee war und wieder Platz gemacht werden musste. Am Kaffee war ich selten interessiert. Meist war kein Kuchen für mich dabei und Kaffee (außer den CARO) mag ich nicht.

Wenn die gesamten Geschwister da waren, ging es im Anschluss wieder weiter mit Gesprächen, Spielen, Fernsehen bis zum Abendessen. Und nach dem erneuten Mahl – ja, es gab bei Oma und Opa immer viel zu essen -, wurde es dann Zeit nach Hause zu fahren. Meine persönliche Hoffnung war dabei immer pünktlich für die Knoff-Hoff-Show daheim zu sein. Danach ging es dann relativ zügig ins Bett.

(handschriftlich verfasst im Rahmen des Bildungsurlaubs Autobiografisches Gestalten und Schreiben)

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